Algerien hat einen neuen alten Präsidenten. Wie erwartet gewann Abdelaziz Bouteflika, Staatspräsident und Chef der Front de Libération National (FLN), der mächtigsten Partei des Landes, die Präsidentschaftswahlen vom 17. April mit rund 81% der Stimmen. Ein Bündnis säkularer und islamistischer Parteien rief zum Boykott der Wahl auf, spricht von Wahlbetrug und erkennt das offizielle Resultat nicht an. Während Wahlbeobachter von Afrikanischer Union und Arabischer Liga der Abstimmung bescheinigten im Rahmen internationaler Standards abgelaufen zu sein, hatte die EU verzichtet eine eigene Beobachtermission ins Land zu schicken. Bei der Parlamentswahl 2012 hatte die EU noch Beobachter in das nordafrikanische Land entsendet, die dem Urnengang mit ausdrücklichem Lob und vorsichtiger leiser Kritik intentionale Legitimität verschaffte (erschienen in Die Wochenzeitung am 8.5.2014).
Stattdessen leisteten vor der Wahl 2014 westliche Spitzenpolitiker Wahlkampfhilfe für Bouteflika. Neben US-Außenminister John Kerry war Spaniens Außenminister Manuel García-Margallo kurz vor dem Wahltag zu Gast in Algier. Spanien betonte Algerien sei ein „zuverlässiger Partner“ und unersetzlich für die Stabilität in der Region. Madrid bezeichnete die Wahl als „transparent und pluralistisch“. Aus Europa und den USA sind keinerlei kritische Töne über den Ablauf der Abstimmung oder Bouteflikas umstrittene Kandidatur zu hören. Dabei gelten Urnengänge in Algerien als massiv gefälscht, dennoch hält sich die EU mit lautstarker Kritik an Autoritarismus und Menschenrechtslage zurück, um die Legitimität des Regimes in Algier nicht in Frage zu stellen. Schließlich ist Algeriens Stabilität für die EU von enormer Bedeutung. Der als zuverlässig geschätzte Bouteflika-Clan in Algeriens fragmentiertem Machtgefüge bleibt weiterhin an den Schalthebeln der Macht. Neben den unersetzlichen Gaslieferungen ist das Land der bedeutendste und zuverlässigste sicherheitspolitische Partner des Westens in der Region. Mit Bouteflika und seinen Verbündeten im Militär- und Geheimdienstapparat an der Macht wissen Europa und die USA ihre Interessen in der Region gewahrt.
So machte García-Margallo im Zuge seines Algier-Besuches auch keinen Hehl aus seinen Ambitionen künftig mehr Erdgas aus Algerien in die EU importieren zu wollen. Angesichts der Krise in der Ukraine warb er in Algier für eine Reduktion von Europas energiepolitischer Abhängigkeit von Russland, die durch zusätzliche Lieferungen aus Algerien kompensiert werden könnte. Madrid will aus den jüngsten Spannungen zwischen Europa und Russland wirtschaftspolitisches Kapital schlagen. Algerien ist bereits mit zwei Gaspipelines mit Spaniens Festland verbunden, die auch Portugal mit algerischem Gas versorgen. Zwei Unterwasserleitungen führen nach Italien. Spaniens Regierung will jedoch vor allem mit der Ausweitung von Flüssiggaslieferungen den Erdgasimport nach Europa erhöhen, sind die sieben Flüssiggasanlagen in Spanien doch längst nicht ausgelastet. Madrid hofft mit entstehenden Transitgebühren eine dringend benötigte Einnahmequelle zu erschließen, doch betont García-Margallo: das Problem sei nicht Algeriens Bereitschaft mehr Erdgas zu liefern, sondern das Zögern Frankreichs die dafür notwendigen Leitungen nach Zentraleuropa auszubauen.
Europas Interesse an der Stabilität Algeriens ist eminent, schließlich ist die verstärkte politische Instabilität der Region im Fahrwasser des Arabischen Frühlings eine schwere Hypothek für geopolitische Interessen der Industrienationen. Libyen droht auseinanderzubrechen und der Krieg in Mali führte Europa und den USA eindrucksvoll vor Augen wie sehr man auch sicherheitspolitisch auf Algier angewiesen ist. Das Land rüstet mit Unterstützung der USA und Europas massiv auf und leistet sich 2014 mit einem Rüstungsetat von rund 20 Milliarden US-Dollar Afrikas größtes Rüstungsbudget. Die Aufrüstung findet jedoch nicht nur im Kontext algerischer Erdgasreserven statt, sondern hängt auch am Tropf des Baus der Trans-Saharan-Pipeline, einer 4128 Kilometer langen Gasleitung, die Nigerias Erdgasquellen direkt mit Europa verbinden und bei ihrer geplanten Fertigstellung 2015 jährlich 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas ins europäische Netz einspeisen soll. Algerien fungiert als Transit- und Verteilerknoten. Angesichts der Aktivitäten militanter Islamisten im Sahel-Raum kann Algeriens Regime seine Machtfülle vor dem eigenen Volk und der Westen die Aufrüstung des autokratisch regierten Landes legitimieren. Algiers Stabilität bleibt ein Anker für westliche Interessen in der Region, doch drohen dem Land ob der massiven sozialen Ungleichheit unruhige Zeiten. Beobachtern zufolge ist es keine Frage, ob ein erneuter Massenaufstand das Land erschüttern wird, sondern lediglich wann.
© Sofian Philip Naceur 2014