Ägyptens Justiz setzt ihr hartes Vorgehen gegen die islamistische Muslimbruderschaft trotz heftiger Kritik weiter fort. Am Montag verurteilte ein Gericht im oberägyptischen Minya 683 mutmaßliche Mitglieder der Organisation zum Tode. Unter ihnen befindet sich auch der Chef der Bruderschaft Mohamed Badie. Derweil bestätigte das Strafgericht in Minya die Todesurteile für 37 Angeklagte der ersten Prozessrunde, bei der vor vier Wochen 529 Menschen zu Tode verurteilt worden waren. Die Todesurteile für 491 Angeklagte wurden in lebenslange Haft umgewandelt. Die Urteile müssen, wie in Ägyptens Rechtssystem vorgesehen, vom Großmufti, der höchsten muslimischen Autorität am Nil, bestätigt werden, bevor sie rechtskräftig werden. Zuletzt hatte es im ganzen Land vermehrt Prozesse gegen mutmaßliche Mitglieder der Muslimbruderschaft gegeben. Die Organisation war im Herbst verboten und im Dezember von Ägyptens Übergangsregierung als „terroristische Vereinigung“ eingestuft worden. So verurteile das Gericht in Minya unter Vorsitz des selben Richters erst am Sonntag elf Angeklagte zu 57 bis 88 jährigen Haftstrafen. Ihnen wurde vorgeworfen in Minya und Matay Polizeiwachen attackiert zu haben, während sich die Anklagen in dem Mammutprozess auf die Ermordung eines Polizeioffiziers, den Aufruf zu Gewalt, den Diebstahl von Waffen und Vandalismus gegen christliche und öffentliche Einrichtungen berufen (erschienen in Junge Welt am 29.4.2014).
Die Muslimbruderschaft verweist nicht zu Unrecht darauf, dass die Anhörung in der ersten Prozessrunde gegen die 529 Angeklagten nur eine Stunde gedauert habe. Nach Ansicht der Bruderschaft, aber auch von Menschenrechtsorganisationen, handele es sich bei den jüngsten Prozessen um politisch motivierte Urteile. Unterdessen kündigte die Bruderschaft an, dass rund 16000 Inhaftierte Mitglieder der Organisation am Mittwoch in den Hungerstreik treten wollen, um gegen ihre Haftbedingungen zu protestieren.
Derweil sorgt ein weiterer Richterspruch für Aufsehen am Nil. Ein Gericht in Kairo ordnete am Montag das Verbot sämtlicher Aktivitäten der säkularen Bewegung des 6. April an. Der Gruppe wird vorgeworfen den ägyptischen Staat diskreditiert zu haben und in Spionageaktivitäten verwickelt zu sein. Der Staatsanwalt rief Staatspräsident Adli Mansour und die Regierung auf das Hauptquartier des 6. April zu beschlagnahmen. Weiter heißt es, die 2008 gegründete Organisation habe Gelder aus dem Ausland angenommen und sei für die Stürmung von Regierungsgebäuden 2011 verantwortlich. Menschenrechtler und Oppositionelle am Nil halten auch dieses Urteil für politisch motiviert, schließlich gehört die Gruppe seit der Revolution 2011 zu den einflussreichsten regimekritischen Kräften im Land. Zwei ihrer Führungskader, Ahmed Maher und Mohamed Adel, sitzen bereits seit Monaten hinter Gittern und wurden zu je drei Jahren Haft verurteilt. Ihnen wird vorgeworfen zu einer nicht genehmigten Demonstration aufgerufen zu haben.
© Sofian Philip Naceur 2014