Nach dem Autobombenanschlag in Mansoura im Nildelta am 24.Dezember kommt Ägypten nicht zur Ruhe. Das Attentat mit 16 Toten war das schwerste im Land seit langem. Am Sonntag detonierte vor dem Sitz des Militärgeheimdienstes in Anshas in der Provinz Al-Sharqiya rund 100 Kilometer nördlich von Kairo eine weitere Autobombe. Vier Soldaten wurden verletzt. Nahe der Provinzhauptstadt Al-Arish im Nord-Sinai entschärften Sicherheitskräfte einen weiteren Sprengsatz. Anschläge auf Ägyptens Sicherheitskräfte häufen sich bereits seit 2012, waren jedoch auf den Nord-Sinai und die Region am Suez-Kanal beschränkt. Seit der Absetzung von Mohamed Mursi als Staatspräsident durch die Armee im Juli fanden Anschläge aber vermehrt im Nildelta und in Kairo statt. Erst am Donnerstag war erneut eine Bombe in Nasr City im Osten Kairos explodiert und verletzte fünf Menschen (erschienen in Junge Welt am 31.12.2013).
Währenddessen setzten sich die Proteste von Gegnern der Absetzung Mursis auf dem Campus der Al-Azhar Universität fort. Bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften auf dem Universitätsgelände wurde ein Student getötet, Dutzende verletzt und rund 100 verhaftet. Am Wochenende waren zwei Fakultätsgebäude in Flammen aufgegangen. Anhänger der erst im Herbst verbotenen Muslimbruderschaft verlagerten zuletzt ihre Proteste von den Straßen in die Universitäten, da es Sicherheitskräften seit 2010 nicht gestattet war diese zu betreten. Ein Beschluss des Interimskabinetts hob erst kürzlich die Regelung auf, seither hatten sich Zusammenstöße an Hochschulen intensiviert.
Nach dem Attentat in Mansoura hatte die Interimsregierung die Muslimbruderschaft zur „terroristischen Vereinigung“ erklärt und mindestens 300 angebliche Mitglieder der Organisation verhaftet. Das Innenministerium kündigte zudem an das Anführen illegaler Proteste der Muslimbrüder mit der Todesstrafe ahnden zu wollen. Ägyptens Sicherheitsapparat und die politische Führung des Landes setzten damit ihren harten Kurs gegenüber der islamistischen Organisation fort, obwohl Ägyptens Presse zuletzt vermehrt über direkte Verhandlungen zwischen Übergangsregierung und den sich noch auf freiem Fuß befindenden Führungskadern der Bruderschaft berichtete. Während sich die militante islamistische im Sinai operierende Gruppe Ansar Beit Al-Maqdis zu dem Anschlag in Mansoura bekannte, beschuldigten zahlreiche Politiker reflexartig die Muslimbruderschaft für das Attentat verantwortlich zu sein. Die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) verurteilte die Erklärung der Bruderschaft zu einer „terroristischen Vereinigung“ durch die Regierung und rief diese dazu auf die Entscheidung zu überdenken. Es gebe bisher keinerlei konkrete Beweise für die Urheberschaft des Anschlags in Mansoura und keine angemessene Untersuchung, heißt es in einem HRW-Statement.
Die englischsprachige ägyptische Onlinezeitung Egypt Independent berichtet zudem am Sonntag unter Berufung auf die türkische Nachrichtenagentur Anadolu drei hochrangige Mitglieder der Muslimbrüder hätten in den letzten Tagen illegal das Land verlassen. Unter den Geflüchteten soll der ehemalige Planungsminister Amr Darrag sein. Bereits im Sommer hatten sich zahlreiche Mitglieder der Organisation und ihres politischen Arms, der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (FJP), ins Ausland abgesetzt, um einer Verhaftung zu entgehen. Unterdessen sollen 450 Häftlinge im Tora Gefängnis im Süden Kairos einen Hungerstreik begonnen haben, um gegen die schlechten Haftbedingungen zu protestieren. Auch die Mitte Dezember verurteilten Aktivisten der liberalen Bewegung des 6. April Ahmed Maher, Mohamed Adel und Ahmed Douma sind in den Hungerstreik getreten. Trotz anhaltender Unruhen und des im Januar anstehenden Jahrestages der Revolution von 2011 am 25. Januar, an dem mit massiven Protesten der islamistischen und linksliberalen Opposition zu rechnen ist, kündigte die Regierung an nach dem für Mitte Januar geplanten Verfassungsreferendum innerhalb von sechs Monaten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen durchführen zu wollen.
© Sofian Philip Naceur 2013