„Seepferdchen Mittelmeer“ – Neue Details zu Europas Kooperation mit Libyens Küstenwache

Inmitten der Coronakrise arbeitet die Europäische Union weiter an der Verschärfung ihrer ohnehin schon rigiden Abschottung im südlichen Mittelmeer. Die Pandemie dient dabei als willkommene Rechtfertigung, noch unnachgiebiger gegen aus Libyen flüchtende Menschen vorzugehen und internationales See- und Menschenrecht auszuhebeln. Besonders Italien und Malta gerieten jüngst mit neuen Praktiken in die Schlagzeilen, die auch nach Ende der Coronakrise Bestand haben könnten. Malta heuerte sogar private Fischkutter an, um in offenbar rechtswidriger Manier auf See gerettete Menschen in das vom Krieg gezeichnete Libyen zurückzubringen (erschienen in junge Welt am 12.5.2020).

Für das Abfangen von Flüchtlingsbooten ist die sogenannte libysche Küstenwache seit Jahren von der EU systematisch aufgerüstet worden. Seit Januar brachte diese mehr als 3.000 Menschen nach Libyen zurück, die dort unter meist katastrophalen Bedingungen in informellen Haftanstalten interniert werden. Seit April hat die größtenteils aus Milizionären gebildete »Küstenwache« ihre Aktivitäten jedoch stark vermindert.

Derweil bestätigte die EU-Kommission vergangene Woche neue Details zu dem 2013 lancierten Projekt »Seepferdchen Mittelmeer«, von dem vor allem die libysche »Küstenwache« profitierte. Wie aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der EU-Abgeordneten Özlem Demirel (Die Linke) hervorgeht, habe das Ziel des Programms darin bestanden, »Kapazitäten der zuständigen Behörden in einer Reihe von Zielländern zu verbessern«, »irreguläre Migration auf dem Seeweg zu überwachen« und »die Schleusung von Migranten zu verhüten und zu bekämpfen«. Spanien, Italien und Malta seien an dem 2019 beendeten Projekt beteiligt gewesen, in dessen Rahmen 141 Mitarbeiter der Küstenwache »in technischen Verfahren und Such- und Rettungsverfahren geschult« worden seien.

Gegenüber jW erklärte Demirel, »Seepferdchen Mittelmeer« sei »zutiefst menschenverachtend«: Letztlich habe die EU »mit 5,5 Millionen Euro gefördert«, dass Menschen in »libyschen Internierungslagern gefoltert und vergewaltigt werden«. »Die Darstellung der EU-Kommission, es sei um die Verhinderung des Verlustes von Menschenleben gegangen, ist daher an Zynismus nicht zu überbieten.«

Das »Seepferdchen«-Projekt ist eine »multilaterale Vernetzung einiger Mitgliedstaaten« und keine Einrichtung der EU. Libyen sollte als erster Nicht-EU-Staat aufgenommen werden. Wie das Portal Netzpolitik.org Ende 2018 geschrieben hatte, gehöre »Seepferdchen« zum »Informationsraum des Systems Eurosur, mit dem die EU ihre Außengrenzen überwacht«. Der Datenaustauschdienst habe Zugriff auf Informationen aus der Satellitenaufklärung und werde mit Daten der EU-Grenzschutzagentur Frontex versorgt. Anfang 2019 erklärte die Bundesregierung, »Seepferdchen Mittelmeer« sei ihren Kenntnissen zufolge nicht in das Eurosur-System integriert worden. Libyens »Küstenwache« werden aber auf anderem Wege Informationen über Flüchtlingsboote bereitgestellt, tauscht sie doch mit Italien bilateral entsprechende Daten aus.

Unklar bleibt dabei, welche libyschen Behörden konkret vom »Seepferdchen«-Projekt profitierten. Unter die Bezeichnung »libysche Küstenwache« fallen zwei Institutionen: die zum Militär gehörende »Küstenwache und Hafensicherheit« (Libyan Coast Guard and Port Security, LCGPS) und die Polizeibehörde »Allgemeine Verwaltung für Küstensicherheit« (General Administration for Coastal Security, GACS). Während letztere in Küstennähe operiert, ist die LCGPS außerhalb der Zwölfmeilenzone aktiv. Eigentlich handelt es sich bei »Seepferdchen« um ein militärisches Projekt, doch in Dokumenten des EU-Treuhandfonds für Afrika wird erklärt, dass im Zuge des Programms auch die GACS unterstützt wird. Im Rahmen des EU-Militäreinsatzes »Sophia« wurden 550 Soldaten der LCGPS trainiert, während die EU-Polizeioperation EUBAM, Frontex und Italiens Innenministerium die GACS unterstützen. Beide Behörden wurden auch mit Patrouillenbooten beliefert. Bis 2023 sollen 285 Millionen Euro in Grenzkontrollmaßnahmen nach Libyen fließen – trotz dokumentierter Menschenrechtsverstöße der davon profitierenden libyschen Behörden.

© Sofian Philip Naceur 2020

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