EU-Kooperation in Nordafrika – Grenzvorposten Tunesien

Die Coronakrise nutzend baut die EU ihr Grenzregime im Mittelmeerraum weiter aus. Vor allem Italien und Malta höhlen derzeit das internationale See- und Flüchtlingsrecht aus und experimentieren mit schwimmenden »Hotspots« und offenbar illegalen neuen »Pushback«-Methoden, um vor dem Krieg in Libyen flüchtende Menschen von EU-Boden fernzuhalten. Zentraler Pfeiler der Grenzabschottungspolitik bleibt aber die Kooperation mit Staaten in Nordafrika, die systematisch hochgerüstet werden (erschienen in junge Welt am 15.5.2020).

Neu ist das keinesfalls, seit der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015 wird es aber intensiviert. Schon 2019 erklärte die EU-Kommission stolz, man habe in den vorherigen vier Jahren »mehr Fortschritte« bei »Migrationsmanagement« und Grenzkontrolle gemacht, »als in den 20 Jahren zuvor«. Diese Dynamik droht durch die Coronakrise weiter verstärkt zu werden, könnte die Pandemie doch der weiteren Militarisierung der EU-Außengrenzen den Weg ebnen.

Die Grundlage dafür ist bereits gelegt. Neben der sogenannten Libyschen Küstenwache profitieren auch Ägypten, Marokko und Tunesien seit Jahren von millionenschweren Ausrüstungs- und Ausbildungsprogrammen, die die Grenzkontrollkapazitäten dieser Staaten ausweiten sollen. In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der EU-Abgeordneten Özlem Demirel (Die Linke) bestätige die EU-Kommission derweil jüngst neue Details über den geplanten Aufbau eines Meeresüberwachungssystems (ISMariS) in Tunesien, mit dem Flüchtlingsboote aufgespürt werden sollen.

ISMariS sei eine »Plattform für Softwarelösungen«, mit deren Hilfe die von der tunesischen Küstenwache gesammelten Daten zusammengeführt werden können. Die Entwicklung und Erprobung von ISMariS war im Rahmen der ersten Phase eines von der EU und der Schweiz finanzierten »Grenzmanagementprojektes« in Tunesien (IBM Tunisia) durchgeführt worden. Mit der Umsetzung betraut waren das International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) mit Sitz in Wien und Italiens Innenministerium. Partner in Tunesien sind das Innen-, Verteidigungs- und Finanzministerium.

Das System sei noch in der Entwicklung, so die EU-Kommission. Gegenüber der französischen NGO Migreurop hatte ICMPD derweil erklärt, ISMariS erlaube es der Küstenwache, »in Echtzeit mehr Informationen und Daten über die Oberflächensituation« in einem Seegebiet zu sammeln. Aufgabe des Systems sei unter anderem die »Sicherung (territorialer) Gewässer und Häfen«, »die Überwachung und Kontrolle der Fischerei« und »der Kampf gegen die illegale Migration auf dem Seeweg«, so das ICMPD gegenüber Migreurop.

Während das deutsche Auswärtige Amt die zweite IBM-Projektphase mit 1,5 Millionen Euro gefördert hatte, wurde die Meeresüberwachung aus dem Programm herausgelöst und einem anderen, zugunsten Marokkos und Tunesiens aufgelegten »Grenzmanagementprojekt« zugeschlagen. Mit der Durchführung des mit 55 Millionen Euro dotierten BMM-Projektes (Border Management Maghreb) beauftragt sind das ICMPD und Italiens Innenministerium. Davon sind 20 Millionen Euro für Tunesien vorgesehen, 70 Prozent davon sollen in die Anschaffung von Ausrüstung und in Trainingsmaßnahmen fließen, erklärte das ICMPD-Büro in Tunis bereits im Dezember gegenüber jW. Durch BMM sollen zudem behördenübergreifende Ausbildungsstätten für tunesische Offizielle eingerichtet und lokale Operationsräume der Grenzbehörden erweitert werden.

Deutschland, Italien und die USA beliefern Tunesien seit Jahren mit Ausrüstung zur Grenzkontrolle. Während Italien vor allem Patrouillenboote lieferte, führten deutsche Polizeibehörden etliche Ausbildungsprogramme für tunesische Innenbehörden durch. Gemeinsam mit den USA finanzierte Deutschland zudem die Errichtung eines elektronischen Grenzüberwachungssystems an der tunesisch-libyschen Grenze und übergab dafür Kameras und Radarsysteme an Tunesiens Regierung.

© Sofian Philip Naceur 2020

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