Präventive Repression am Nil

Es sollte nur der Auftakt zu einem wochenlangen massiven Vorgehen gehen Oppositionelle und Dissidenten sein. Am 19. November ließen Sicherheitskräfte den in Deutschland lebenden ägyptischen Gefäßchirurg Dr. Ahmed Said in der Kairoer Innenstadt festnehmen. Wenige Stunden zuvor hatte die Polizei eine Mahnwache für die Opfer eines Massakers an Demonstranten im November 2011 aufgelöst und insgesamt 13 Menschen verhaftet. In der Polizeiwache Abdeen im Stadtzentrum von Ägyptens Hauptstadt wurde Said mehrere Tage lang von Geheimdienstmitarbeitern gefoltert bevor ihm und vier weiteren Angeklagten Mitte Dezember der Prozess gemach wurde. Das Urteil: zwei Jahre Haft wegen Verstößen gegen das umstrittene Protestgesetz (erschienen in Junge Welt am 23.1.2016).

Inzwischen hat der Fall international und auch in Deutschland Aufmerksamkeit erregt und lieferte auch dem deutschen Bundestag Stoff für Diskussionen. Denn die Bundesregierung muss sich angesichts ihrer Aus- und Fortbildungshilfen für ägyptische Polizei- und Geheimdienstbehörden Fragen gefallen lassen, da diese unter anderem jener Geheimdienstsektion zu Gute kamen, die für die Folter an Said verantwortlich gemacht wird. Die Teilnahme von EU-Prozessbeobachtern am Revisionsverfahren gegen Said ist auch ein Signal in Richtung der ägyptischen Führung sich bei der strafrechtlichen Verfolgung von Oppositionellen mit Kontakten nach Europa mit politisch motivierten Maßnahmen zurückzuhalten. Ob dies im Falle Saids fruchten wird, bleibt jedoch weiterhin offen.

Aus dessen Umfeld heißt es aber, im Vorfeld des Deutschlandbesuchs von Ägyptens Außenminister Sameh Shoukry Mitte Januar habe man Said im Gefängnis im Süden Kairos eine Art Sonderbehandlung zukommen lassen. Von hilfsbereitem und gar freundlichem Gefängnispersonal wird berichtet und derartiges hört man selten aus Ägyptens gefürchteten Haftanstalten.

Saids Chancen auf vorzeitige Freilassung bleiben dennoch ungewiss. Das Berufungsverfahren in Kairo Mitte Januar lässt Familien und Angehörige der fünf Angeklagten hoffen, auch da die Urteilsverkündung für den 27. Januar 2016 angesetzt wurde – also zwei Tage nach dem symbolträchtigen Jahrestag der ägyptischen Revolution von 2011. Beobachter gehen davon aus, dass die derzeit stattfindende Repressionskampagne der ägyptischen Behörden gegen Aktivisten, Oppositionelle und die Zivilgesellschaft nach dem Jahrestag am 25. Januar an Intensität verlieren wird.

Doch der Fall Said sollte nur der Vorgeschmack auf das sein, was seit Dezember 2015 zweifelhafte Realität in Ägypten ist. Das Regime räumt auf und zwar gründlich, willkürlich und ohne Rücksicht auf rechtsstaatliche oder menschenrechtliche Standards. Aktivisten werden verhaftet, Kultureinrichtungen durchsucht oder behördlich geschlossen, Wohnungen nahe des Tahrir-Platzes in der Kairoer Innenstadt scheinbar wahllos auf den Kopf gestellt. Denn das Regime will sicherstellen, dass am bevorstehenden Jahrestag der Revolution am Montag keine Demonstrationen, Kundgebungen oder Mahnwachen stattfinden, die an den Aufstand gegen das Regime von Exdiktator Hosni Mubarak 2011 erinnern. In seltener Offenheit äußert sich ein Mitarbeiter des ägyptischen Heimatschutzes, dem zuvor als Staatssicherheitsdienst bekannten Geheimdienst im Land, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters und erklärt die Beweggründe für die laufende Kampagne gegen Andersdenkende. Aktivisten solle die Luft zum Atmen genommen, Proteste verhindert werden. Dem Rest wolle man schlicht Angst einjagen, betont die anonyme Quelle.

Der Journalist Hossam Baghat, der im Herbst kurzweilig verhaftet wurde, schreibt auf seiner Facebookseite in sarkastischem Tonfall, die ägyptische Regierung erleide derzeit eine Art kollektiver Panikattacke. Denn seit dem Aufstand gegen Mubarak und fünf Jahren politischer Instabilität jagen Proteste von Opposition und Zivilgesellschaft dem Regime immer noch Angst ein. Während am Montag nicht mit Demonstrationen in Ägypten gerechnet wird, finden heute in Frankfurt, Berlin und Hamburg Solidaritätskundgebungen für Said und andere politische Gefangene in Ägypten statt.

© Sofian Philip Naceur 2016

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