Krisenmanagement statt Wirschaftspolitik

Fünf Jahre nach Ausbruch der ägyptischen Revolution 2011 sieht die krisengeplagte Wirtschaft des Landes auch weiterhin kein Licht am Ende des Tunnels. Anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, galoppierende Inflation und ein sicherheitspolitisch fragiles Umfeld machen der Privatwirtschaft ebenso zu schaffen wie der staatlich kontrollierten Industrie. Das Land ist faktisch pleite und konnte sich nur dank großzügiger politisch motivierter Hilfszahlungen aus den Golfstaaten über Wasser halten. Doch inzwischen fahren Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate ihre fiskalpolitische Unterstützung für Kairo sukzessive zurück und stellen das Land vor neue Herausforderungen. Derweil hat das Regime um Ägyptens autoritär regierenden Präsidenten Abdel Fattah Al-Sisi bisher keinerlei wirksame Maßnahmen präsentiert, um der am Boden liegenden Wirtschaft neues Leben einzuhauchen (erschienen in Junge Welt am 9.2.2016).

Im Gegenteil. Die Regierung setzt auf kurzfristig angelegte Vorkehrungen. Eine langfristige Strategie zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Inflation existiert nicht. „Das Regime hat keine umfassende Strategie zur Entwicklung der Wirtschaft oder eine Vision“, meint Amr Adli, Wirtschaftswissenschaftler vom Carnegie Middle East Center. Die Regierung agiere schlichtweg als Krisenmanager, meint er. Die einzig erkennbare konsequent vorangetriebene Methode zur Bewältigung der Wirtschaftskrise ist der Versuch ausländische Direktinvestition anzulocken. Doch auch dies zielt nicht darauf ab die Wirtschaft zu entwickeln, sondern ist nur ein Mittel, um Devisenknappheit und Zahlungsbilanzdefizit zu überbrücken, so Adli.

Zwar treibt die Regierung derzeit einige Maßnahmen voran, um die Binnenproduktion vor Billigimporten zu schützen und damit den inländischen Markt zu stimulieren, doch positive Effekte höherer Importsteuern für die inländischen Produktionsbedingungen bleiben zweifelhaft. Regimenahe politische Kräfte hoffen derweil darauf, dass die Restaurierung der demokratischen Fassade in Ägypten auch der Wirtschaft zu Gute kommt. „Heute haben wir einen gewählten Präsidenten, eine Verfassung und ein Parlament. Damit sendet Ägypten eine positive Botschaft an die Welt“, meint Youmna Al-Hamaky, Wirtschaftsprofessorin an der Ain Schams Universität in Kairo und ehemaliges Mitglied der 2011 aufgelösten Nationaldemokratischen Partei (NDP), der alten Regimepartei von Exdiktator Hosni Mubarak.

Während das neu konstituierte Parlament in Kairo im Januar seine Arbeit aufgenommen hat, ist seitens der neuen Legislative wenig Widerstand gegen Al-Sisis Wirtschaftspolitik zu erwarten. Das Parlament werde Al-Sisis Wirtschaftsprogramm unterstützen und ihm mehr Zeit einräumen, meint der Abgeordnete Ahmed Al-Segany, der dem Parlamentsblock der regimetreuen liberalen Al-Wafd-Partei vorsitzt. „Die angestoßenen Wirtschaftsreformen brauchen mehr Zeit, um fühlbare Resultate zu erzielen“, betont er.

Doch Zeit hat die Regierung keine mehr. Nach dem Terroranschlag auf ein russisches Passagierflugzeugs auf der Sinaihalbinsel im Oktober 2015 bricht nun auch noch der elementar wichtige Tourismussektor ein, der eine unersetzbare Devisenquellen des Landes ist und Millionen Menschen ein Einkommen sicherte. Auch vor diesem Hintergrund braucht das Land dringend neue Devisenquellen. Kein Wunder also, dass Al-Sisi die Diversifizierung ausländischer Investitionen vorantreibt. Doch auch wenn heute Kredite aus Russland und China den zuvor dominanten westlichen Geldgebern Konkurrenz machen, ändert dies wenig daran, dass das Land Strukturreformen braucht, sich aber stattdessen erneut in die Fänge der Weltbank begibt.

Unterdessen ist die Unterordnung sozialer, politischer, aber auch wirtschaftlicher Fragen unter den Aspekt der nationalen Sicherheit zu einem Problem mutiert, das die inländische Wirtschaft lähmt und Geldgeber abschreckt. In diversen Fällen habe die Regierung Gelder von Geschäftsleuten einfrieren lassen, entweder da man sie fälschlicherweise mit der verbotenen Muslimbruderschaft in Verbindung brachte oder aufgrund von Steuerbetrug oder Korruption, meint der Unternehmer Waleed Khalil. „Das Problem dabei ist nicht, dass gegen Korruption vorgegangen wird, sondern das Erstürmen des Hauses eines Geschäftsmannes durch Soldaten.“ Khalil spielt auf einen Vorfall im November 2015 an, als Militäreinheiten die Villa von Salah Diab stürmten und den Haupteigner einer der größten privaten Tageszeitungen im Land, Al-Masry al-Youm, und Besitzer eines Lebensmittelkonzerns vor laufenden Kameras verhaften ließen. Doch Diab wurde nach zwei Tagen wieder frei gelassen. „Derartige Geschichten übermitteln eine klare Botschaft an Geschäftsleute, dass sie jederzeit im Gefängnis landen können“, meint Khalil.

Zwar setzt das Regime die neoliberale Politik des alten Mubarak-Regimes fort, doch selbst Profiteure dieser alten Ordnung, die private Geschäftselite im Land, sind vor den Fängen der Armee nicht mehr sicher. Das Militär, das eine Schattenwirtschaft betreibt und seit 2013 seinen wirtschaftlichen Einfluss weiter festigen konnte, verfolgt eigene Interessen schreckt nicht davor zurück sich mit der privaten Unternehmerschaft anzulegen. Selbst eine neoliberale Wirtschaftspolitik ist mit einem Militärapparat, der auch wirtschaftliche Ziele verfolgt, nicht umzusetzen. Findet das Regime nicht bald zum wirtschaftlichen Status Quo zurück, stehen dem Land erneut unruhige Zeiten bevor.

© Sofian Philip Naceur 2016

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