Ägypten: Freilassung der Al Jazeera Journalisten?

Eine Freilassung von zwei der drei in Ägypten inhaftierten Al Jazeera Journalisten rückt offenbar in greifbare Nähe. Zuletzt mehrten sich Anzeichen, dass Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi eine Begnadigung der Mitarbeiter des umstrittenen Senders aus dem Golfemirat Katar inzwischen ernsthaft in Betracht zieht. Der australische Al Jazeera-Korrespondent Peter Greste, der kanadisch-ägyptische Bürochef des Senders in Kairo Mohamed Fahmy und der ägyptische Produzent Baher Mohamed wurden am 29. Dezember 2013 in Ägyptens Hauptstadt verhaftet und sind seither im Hochsicherheitsgefängnis Tora in Süd-Kairo interniert (erschienen in Junge Welt am 8.12.2014).

Im Juli 2014 verurteilte der Kairoer Strafgerichtshof Greste und Fahmy sowie fünf andere angebliche Mitarbeiter von Al Jazeera zu je sieben Haft wegen der Verbreitung von Falschnachrichten und der Gefährdung von öffentlicher Sicherheit und nationaler Einheit. Baher Mohamed und weitere zehn Angeklagte wurden zu je zehn Jahren Gefängnis verdonnert. Vorgeworfen wurde ihnen zusätzlich der Besitz von Waffen.

Der Fall gilt als politisch motiviert und Teil der staatlich geführten Kampagne gegen die 2013 entmachtete islamistische Muslimbruderschaft von Ex-Präsident Mohamed Mursi. Katar und sein Sprachrohr Al Jazeera unterstützen offen die Bruderschaft. Während die Regierung Katars der Mursi Regierung mit Krediten finanziell unter die Arme griff und nach dessen Sturz aus Ägypten geflohene Mitglieder der verbotenen Organisation Unterschlupf gewährte, berichtete Al Jazeera einseitig zugunsten der Muslimbrüder. Neben übertriebener Angaben zur Größe von Demonstrationen der Bruderschaft ignoriert der Sender konsequent die Kooperation der Islamisten mit dem Militärregime 2011 und 2012 und verkürzte immer wieder die Berichterstattung über die Revolution auf die positive Rolle der Islamisten. Galt der Sender noch vor wenigen Jahren als wichtige Informationsquelle für Menschen in der arabischen Welt, hat Al Jazeera ob seiner parteiischen inhaltlichen Ausrichtung inzwischen massiv an Ansehen verloren. Der englischsprachige Ableger des Senders aus Katar gibt sich jedoch weitaus ausgewogener als sein arabischsprachiger Mutterkanal.

Staatspräsident Al-Sisi ließ bereits mehrfach durchblicken, dass ihm der kontrovers diskutierte und politisch hochbrisante Fall „Kopfschmerzen“ bereite, betonte Fahmys Bruder Adel Fahmy gegenüber jW. Kurz nach der Urteilsverkündung sagte Al-Sisi, es sei ein Fehler gewesen die drei Journalisten vor Gericht zu stellen, sie hätten direkt nach ihrer Festnahme deportiert werden sollen, so Al-Sisi weiter. Am 12. November verabschiedete er ein Präsidialdekret, dass die Ausweisung ausländischer Angeklagter oder verurteilter Straftäter in ihre Heimatländer legalisiert. Das Dekret hatte Spekulationen über eine Begnadigung oder eine Deportation der drei Reporter weiter angeheizt. Der letzter öffentliche Hinweis auf eine baldige Freilassung der Internierten seitens ägyptischer Offizieller war Al-Sisis Interview für den französischen TV-Kanal France24 im November, in dem er auf die Frage nach einer möglichen Begnadigung antwortete, diese Option werde derzeit „diskutiert“.

Die nächste Anhörung im Berufungsverfahren ist für den 1. Januar 2015 angesetzt. „Nach dem France24-Interview Al-Sisis haben wir Hoffnung, dass Peter Greste und Mohamed Fahmy bald freikommen werden“, sagt Adel Fahmy. Noch ist jedoch nicht klar, ob Greste und Fahmy auf Grundlage des Präsidialdekretes freikommen werden oder von Al-Sisi begnadigt werden.

Für Baher Mohamed sieht die Lage jedoch nach wie vor nicht besser aus, heißt es in Kairoer Anwaltskreisen. Mohameds Vater Hazem Ghorab Mohamed arbeitete für den der Bruderschaft nahe stehenden TV-Sender Misr25. Es habe sich zudem während des Gerichtsprozesses in einer Art und Weise geäußert, die ihm die Möglichkeit auf eine baldige Begnadigung versperrt haben dürfte, heißt es bei der Quelle, die anonym bleiben möchte.

Der Fall der so genannten „Marriott-Zelle“, wie der Prozess gegen die Al Jazeera Mitarbeiter in Ägypten auch genannt wird nachdem Greste und Fahmy im Marriott-Hotel in Kairo verhaftet wurden, hat zudem eine regionale politische Dimension. Greste und Fahmy gehören bei den politischen Streitigkeiten zwischen Katar und den anderen Golfstaaten faktisch zur Verhandlungsmasse. Während Katar die Muslimbruderschaft finanziell und politisch unterstützte, stehen Saudi-Arabien, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) klar hinter dem regierenden Militärregime am Nil und hießen die Absetzung Mursis durch die Armee willkommen. Die politischen Verstimmungen am Golf hatten sich zwar im April deutlich entspannt, doch ist Katar seinen Versprechungen bisher nur partiell nachgekommen. Ägypten pflegt seit der Entmachtung der Muslimbruderschaft enge Beziehungen zu Saudi-Arabien und den anderen Golf-Staaten, während sich das Verhältnis Ägyptens zu Katar deutlich abgekühlt hatte.

Saudi-Arabien, Bahrain und die VAE hatten ihre Botschafter aus Katar zurückgerufen und das kleine Land am Golf damit massiv zu isolieren versucht. Der politische Druck zeigte Wirkung und Katar signierte im April das Riad-Abkommen, in dem sich alle Beteiligten dazu verpflichteten sich nicht in die internen Angelegenheiten der anderen Staaten einzumischen. Zudem seien die jeweiligen „Interessen“ zu respektieren. Dazu gehöre seitens Katars auch die Beendigung der einseitigen Berichterstattung Al Jazeeras. Der Sender wird direkt von Katars Königsfamilie kontrolliert und finanziert und habe nach Angaben von Fahmys Anwältin Amal Clooney bisher nichts an seiner Berichterstattung geändert. Auch betonte Adel Fahmy man habe in Gesprächen mit ägyptischen Offiziellen und bei der Öffentlichkeitsarbeit zugunsten einer Freilassung von Fahmy und Greste immer hervorgehoben, dass beide für den englischsprachigen Ableger Al Jazeeras arbeiteten und nicht für die wesentlich radikaler auftretende ägyptische Al Jazeera-Tochter Al Jazeera Mubasher. Während diese im Herbst 2014 von Ägypten abgeschaltet wurde, wird Al Jazeera English bis heute auch am Nil ausgestrahlt.

Fahmy und Clooney sehen Katar in der Pflicht sich an die Abmachungen des Riad-Abkommens zu halten, um eine Freilassung der Inhaftierten nicht weiter in die Länge zu ziehen. Dennoch bleibt fraglich, ob Al-Sisi nicht doch nur vorerst einer Ausweisung Grestes zustimmen wird. Die ägyptische Nachrichtenwebsite Mada Masr berichtet ein ehemaliger Richter am Kairoer Strafgerichtshof habe darauf hingewiesen, dass die Deportation ausländischer Angeklagter, die auch einen ägyptischen Pass besitzen, möglicherweise keine Anwendung finden könnte. Fahmys ägyptische Staatsbürgerschaft könnte seine Freilassung daher weiter verzögern.

Selbstzensur am Nil

Seit der Machtübernahme der Armee in Ägypten nach der Absetzung von Ex-Präsident Mohamed Mursis im Juli 2013 setzt das Regime am Nil alles daran die Presse auf Linie zu trimmen. Unzählige Menschenrechtler und Nicht-Regierungs-Organisationen wie Reporter ohne Grenzen oder Amnesty International mobilisierten massiv gegen die Versuche der Regierung regierungskritische Journalisten mundtot zu machen und auch die nicht-staatlich kontrollierte Presse unter Druck zu setzen. Im Herbst appellierte Präsident Abdel Fattah Al-Sisi bei einem Treffen mit zahlreichen Chefredakteuren an die Medien die Regierung in ihrem Anti-Terror-Kampf zu unterstützen und die Sicherheit und Stabilität des Landes nicht durch kritische Berichterstattung zu gefährden. Zahlreiche TV-Sender und Zeitungen unterstützen die Initiative. Zwar verweigerten hunderte Journalisten in einer öffentlichen Petition die staatliche Bevormundung der Presse durch Ägyptens Regime, dennoch ist die Berichterstattung in Ägypten inzwischen eindeutig durch Selbstzensur gekennzeichnet.

Wiederholt wurden TV-Moderatoren wegen regierungskritischer Äußerungen entlassen und strafrechtlich verfolgt. Einer der prominentesten Fälle der in Ägypten inzwischen weit verbreiteten Selbstzensur war die Einstellung der Satire-Show „Das Programm“ von Bassem Youssef im Sommer 2013. In seiner Rede auf dem Oslo Freedom Forum im November sagte Youssef: „Die Medien sollten unabhängig sein und die Autoritäten zur Rechenschaft ziehen. Aber wenn die Medien aufhören Autoritäten in Frage zu stellen oder wenn sie beginnen die Regierung zuungunsten der Menschen zu repräsentieren, hört die Presse auf unabhängig zu sein.“

Anhaltende Verhaftungswelle

Nach der Verkündung des umstrittenen Urteils gegen Ägyptens Exdiktator Hosni Mubarak am vergangenen Samstag, bei dem Mubarak freigesprochen und die Anklage fallen gelassen wurde, versammelten sich am Tahrir-Platz in der Kairoer Innenstadt rund 4000 Demonstranten und forderten Gerechtigkeit. Mubarak war vorgeworfen worden während der Revolution 2011 für den Tod hunderter Demonstranten verantwortlich zu sein. Bei der zügig vorangetriebenen Räumung der Kundgebung in Kairo durch Sicherheitskräfte wurden mindestens sechs Journalisten vorübergehend verhaftet. Insbesondere Reporter und Fotografen, die über regierungskritische Proteste berichtet, sind immer wieder Ziel von Übergriffen durch Polizei oder Armee. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen sind derzeit 14 Journalisten in Ägypten in Haft. Die Regierung geht zudem weiterhin massiv gegen Oppositionelle und regimekritische Aktivisten vor. Nach kleineren Demonstrationen gegen das Urteil im Mubarak-Prozess wurden am Samstag auch in Alexandria und Luxor im Süden Ägyptens mehrere Demonstranten inhaftiert. Während die in Alexandria verhafteten Protestler noch am gleichen Tag freigelassen wurden, stellten die Behörden die in Luxor in Oberägypten verhafteten Aktivisten Abdelrahman Ragah und Azem Moussa gemeinsam mit drei anderen Demonstranten aus dem linken politischen Lager vor ein Militärgericht. Das Gericht in Luxor ordnete vorerst eine Untersuchungshaft von 15 Tagen an, bevor die fünf Angeklagten erneut vor den Richter treten müssen. Ihnen wird vorgeworfen gegen das umstrittene Protestgesetz verstoßen zu haben, dass drakonische Freiheitsstrafen für die Teilnahme an nicht genehmigten Protesten vorsieht. Die völlig intransparente vom Militärapparat kontrollierte Paralleljustiz wurden erst im November von Präsident Abdel Fattah Al-Sisi mit zusätzlichen Kompetenzen ausgestattet, um Demonstranten schneller aburteilen zu können. Seit 2011 wurden mindestens 12000 Menschen vor Militärgerichten abgeurteilt.

© Sofian Philip Naceur 2014

Die Familie von Mohamed Fahmy hat eine Spendenwebsite eingerichtet, um die hohen Anwaltskosten des seit fast einem Jahr laufenden Falles begleichen zu können.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.