Wahlbetrug und Amtsmissbrauch bescheren Algeriens Präsident Bouteflika ein umstrittenes viertes Mandat.
Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika wurde bei der Präsidentschaftswahl am 17. April 2014 erwartungsgemäß mit großem Vorsprung zum vierten Mal ins höchste Staatsamt gewählt. Bouteflika kam dabei nach offiziellen Zahlen auf 81,5% vor seinem größten Rivalen Ali Benflis, der 12,2% der Stimmen bekam. Das Resultat ist keineswegs überraschend, gelten Urnengänge in Algerien doch als massiv gefälscht und Ergebnisse im Vorfeld der Wahl hinter verschlossenen Türen ausgehandelt. Dennoch war die Präsidentschaftswahl 2014 brisant, da der Favorit Bouteflika als gesundheitlich schwer angeschlagen gilt. Und schon zu Beginn des Urnengangs erhob die Opposition lautstark Betrugsvorwürfe. Rund um den Urnengang kam es im Norden Algeriens zu Protesten der Opposition. Mehrere Kundgebungen in Algier wurden von Sicherheitskräften aufgelöst, während es in der Kabylei, der östlich von Algier gelegenen mehrheitlich von Berbern der Kabylen-Minderheit bewohnten Region, bereits während des Wahlkampfes immer wieder zu regierungskritischen Protesten kam. Am Wahltag lieferten sich rund um die Stadt Bouira Demonstranten und Sicherheitskräfte stundenlange Straßenschlachten. Rund 70 Personen wurden verletzt und dutzende Demonstranten verhaftet (Wahlanalyse für die Rosa-Luxemburg-Stiftung, erschienen am 24.4.2014).
Während fast die gesamte Opposition von Wahlbetrug spricht und das Ergebnis nicht anerkennen will, sieht sich Bouteflikas Clan gestärkt aus der Abstimmung hervorgegangen. In Europa und den USA sind keinerlei kritische Töne über den Ablauf der Wahlen und Bouteflikas umstrittene Kandidatur zu hören. Der als zuverlässiger Partner geschätzte Bouteflika-Clan bleibt schließlich an den Schalthebeln der Macht in Algier. Algerien ist geostrategisch von großer Bedeutung. Neben den unersetzlichen Öl- und Gaslieferungen ist das Land der bedeutendste und zugleich zuverlässigste sicherheitspolitische Verbündete des Westens in der Region. Mit Bouteflika an der Macht wissen Europa und die USA ihre Interessen im Maghreb gewahrt. Wichtiger als die Präsidentschaftswahlen selbst ist jedoch, wer Bouteflika als Vizepräsident zur Seite gestellt wird, ist diese Personalentscheidung doch entscheidend für die politische Stabilität des Landes.
Scharfe Kritik an Bouteflikas Kandidatur
Abdelaziz Bouteflika – Staatspräsident, Verteidigungsminister und Chef der Nationalen Befreiungsfront (FLN), der seit Algeriens Unabhängigkeit 1962 faktisch ununterbrochen regierenden mächtigsten Partei des Landes, in Personalunion – steht seit 1999 an der Staatsspitze. Er gehört zur alten Garde der früheren Einheitspartei FLN, deren politischer Einfluss im Staatsapparat bis heute ungebrochen ist. Seine erneute Kandidatur hat im Land für heftige Kritik gesorgt, verbrachte er doch nach einem Schlaganfall im Frühjahr 2013 drei Monate im Pariser Militärhospital Val-de-Grâce und gilt als gesundheitlich schwer angeschlagen. Sein Erscheinen in einem Wahllokal in Algier am Vormittag des Wahltages war sein erster öffentlicher Auftritt seit zwei Jahren.
Im Wahlkampf blieb Bouteflika unsichtbar. Er ernannte ein sechsköpfiges Team, das im Wahlkampf für ihn auf Stimmenfang ging. Neben Abdelmalek Sellal, der für die Leitung von Bouteflikas Wahlkampagne vom Amt des Regierungschefs zurücktrat, zogen FLN-Generalsekretär Amar Saïdani, Ex-Premierminister Ahmed Ouyahia (Nationale Demokratische Sammlung, RND), Abdelaziz Belkhadem (FLN), Industrieminister Amara Benyounès (Algeriens Volksbewegung, MPA) und Transportminister Amar Ghoul, Chef der Sammlung für Algeriens Hoffnung (TAJ), für Bouteflika in den Wahlkampf. Neben FLN, RND, MPA und TAJ genoss Bouteflika Rückendeckung von Unternehmerverbänden und der ehemaligen staatlichen Einheitsgewerkschaft UGTA.
Neben seiner angeschlagenen Gesundheit und erheblicher Zweifel daran, ob Bouteflika überhaupt fähig ist das Amt des Staatspräsidenten auszuüben, kritisierte die Opposition wiederholt die starren Strukturen von Algeriens Machtapparat, der auch 52 Jahre nach der Unabhängigkeit des Landes vom Bouteflika-nahen Clan aus West-Algerien dominiert wird. Diese mit Abstand mächtigste Fraktion in FLN und Staatsapparat hat seit Bouteflikas Amtsantritt 1999 ihren Einfluss gar noch ausgebaut. Auch aus den Reihen der FLN wurde immer wieder der Ruf nach personeller Erneuerung laut, um sich für die Jugend des Landes attraktiver zu machen.
Farblose Kandidaten, farbloser Wahlkampf
Bouteflika trat dennoch erneut zur Wahl an und von Beginn an war sicher, wer das Rennen machen würde. Auch hatte keiner seiner Gegenkandidaten den notwendigen Rückhalt von Militär und Geheimdienst. Zwar bewarbensich zwölf Kandidaten um die Teilnahme an der Wahl, doch nur sechs wurden vom Verfassungsrat zugelassen. Moussa Touati, Ali Fawzi Rebaïne und Louisa Hanoune, Chefin der trotzkistischen Arbeiterpartei (PT), traten zum dritten Mal gegen Bouteflika an. Einziger Neuling war Abdelaziz Belaïd. Alle vier waren von Beginn an chancenlos. Allein Ali Benflis wurden Chancen eingeräumt. Er führte Bouteflikas Wahlkampagne 1999, war Generalsekretär der FLN und in Bouteflikas erster Amtszeit Regierungschef, doch nach ihrem Zerwürfnis trat Benflis bei den Präsidentschaftswahlen 2004 gegen ihn an und unterlag deutlich.
Bouteflikas Clan begann schon im Herbst 2013 mit dem Wahlkampf, unter anderem mit der Ankündigung eines großangelegten Bauprogramms für Sozialwohnungen. RND-Chef Abdelkader Bensalah verwies auf Algeriens politische Stabilität und Bouteflikas „Errungenschaften“. Sellal versprach die „Demokratisierung“ des Systems, sollte Bouteflika wiedergewählt werden. Bemerkenswert war hingegen die Thematisierung der Anerkennung der Berber-Sprache Amazigh, die sich fast alle Kandidaten zu eigen machten. So versprach Benflis die „Emanzipazion Amazighs“. Monatelange Unruhen zwischen berberischen Mozabiten und sunnitischen Arabern im südalgerischen Ghardaïain der Provinz Mzab hatten offenbar dafür gesorgt, dass die Anerkennung kultureller Rechte der Minderheiten zum dominanten Wahlkampfthema wurde.2Als kurz vor dem Urnengang die mögliche Wahlmanipulation in den Vordergrund rückte – Rebaïne, Benflis und Touati warnten immer öfter vor großangelegtem Wahlbetrug – sah sich Bouteflikas veranlasst Benflis „Terrorismus“ vorzuwerfen. Er würde mit seinen Vorwürfen die Stabilität des Landes gefährden. Bouteflikas Gegenkandidaten ließen von ihrer Kritik jedoch nicht ab und warfen Bouteflikas Clan vor deren Kontrolle über die Staatsmedien für Wahlkampfzwecke zu missbrauchen.
Ausschreitungen überschatten Urnengang
Bereits im Vorfeld des Urnengangs kam es zu Protesten vor allem im Norden des Landes. In der Kabylei wurden Wahlkampfauftritte gestört. Bouteflikas Kampagnenleiter Sellal musste eine Rede in Béjaïa absagen nachdem Demonstranten den Saal gestürmt hatten. Auch Benflis‘ Wahlkampagne war betroffen. Kurz vor der Wahl protestierten rund 4000 Menschen in Tizi Ouzu, der größten Stadt in der Kabylei.3Einen Tag vor der Abstimmung wurde eine Kundgebung der Protestbewegung „Barakat“ in Algiers Innenstadt von der Polizei gewaltsam beendet. Die Proteste setzten sich am Wahltag fort. In Béjaïa und Bouira stürmten Regierungsgegner ein Wahllokal, Wahlurnen wurden angezündet. Proteste und Kundgebungen werden seit 1991 nur mit expliziter Genehmigung der Behörden erlaubt und Demonstrationen in Algier sind seit 2011 per Dekret grundsätzlich verboten. Vor dem Hintergrund zunehmender Polizeigewalt gegen Proteste hatte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kurz vor dem Wahlgang die Menschenrechtslage im Land scharf angegriffen. Das Demonstrationsrecht werde von Algeriens Behörden massiv eingeschränkt, unabhängigen Gewerkschaften die Koalitionsfreiheit vorenthalten und die Meinungsfreiheit beschnitten.
Wenige Tage nach dem Urnengang fand zudem in der Nähe von Tizi Ouzu ein Anschlag auf einen Militärposten statt. 14 Soldaten wurden getötet. Die Region ist immer wieder Ziel terroristischer Gruppen, die seit Ende des Bürgerkrieges der 1990er Jahre weiterhin regelmäßig Anschläge im Land verüben.4Dennoch finden seit einigen Jahre kaum noch terroristische Anschläge im Norden des Landes statt. Mit Ausnahme der Kabylei und Algier verlief der Urnengang ruhig. Noch am Wahlabend feierten Anhänger Bouteflikas bereits seinen Wahlsieg in Algier und dem westalgerischen Mascara. In Tizi Ouzu beanspruchten Anhänger Benflis‘ den Sieg für sich. Doch bei den Erdergebnissen gab es keine Überraschung. Mit 81,53% wurde Bouteflika zum Wahlsieger erklärt. Benflis erreichte 12,18%. Abdelaziz Belaïd lag mit 3,36% noch vor Louisa Hanoune, die mit 1,37% abgeschlagen Rang Vier belegte. Rebaïne kam auf 0,99 und Moussa Touati 0,56%. Die Wahlbeteiligung lag bei 50,7%. 2009 lag sie nach offiziellen Angaben noch bei 74%.
Betrugsvorwürfe werden lauter
Unmittelbar nach Ende des Wahlgangs intensivierten sich Manipulationsvorwürfe. Noch vor Bekanntgabe der offiziellen Ergebnisse veröffentlichte Benflis eine Stellungsnahme, in der er von „großangelegtem Wahlbetrug“ spricht. Benflis, Rebaïne und Touati erkennen das Resultat nicht an. Von den angetreten Kandidaten äußerte sich nur Hanoune regimekonform.5Das Ergebnis sei „ein großer Sieg für das algerische Volk“ und im Gegensatz zu 2009, als sie noch lautstark gegen den Ausgang der Wahl opponierte, nannte sie das Wahlergebnisse „legitim und unantastbar“. Dabei schrieb die Zeitung El Watan bereits drei Wochen vor der Abstimmung: „Wahlbetrug hatschon begonnen“. Das Blatt äußerte sich skeptisch über die angeblich vom Bouteflika-Lager gesammelten vier Millionen Unterschriften, die für die Registrierung als Kandidat beim Verfassungsrat eingereicht wurden. Die Unterschriften seien in nur acht Tagen zusammengetragen worden, eine logistische Unmöglichkeit. Auch berichtet El Watan wie Angestellte staatlicher Unternehmen wie der Fluggesellschaft Air Algerié, der Öl- und Gasgesellschaft Sonatrach sowie Beamte genötigt oder bestochen worden seien sich in die Listen Bouteflikas einzutragen. Auch offizielle Angaben zur Wahlbeteiligung sind wenig glaubwürdig. Journalisten vor Ort berichten von schlecht besuchten Wahllokalen.
Islamisten und Säkulare rufen zum Wahlboykott auf
Wie die Proteste vor und während des Urnengangs gezeigt haben, hat die Opposition auch weiterhin Zulauf. Im März folgten rund 5000 Menschen den Aufrufen der in der Kabylei verankerten Sammlung für Kultur und Demokratie (RCD) und der islamistischen MSP (Bewegung für die Gesellschaft und den Frieden), protestierten gegen Bouteflikas Kandidatur und riefen zum Wahlboykott auf. Doch die Opposition ist nach wie vor tief gespalten und die Gräben zwischen Islamisten und Säkularen tief. Ein Grund für die zögerliche Haltung der Menschen zum Boykottaufruf der Opposition ist die Tatsache, dass inzwischen alle etablierten Parteien vom Regime kooptiert sind oder zumindest waren und damit ihre Glaubwürdigkeit verspielt haben.
Das RCD gehörte jahrelang ebenso wie die PT zur vom Regime tolerierten und im Parlament erwünschten Opposition, da sie mit ihrer alleinigen Anwesenheit dem System Legitimität verliehen. Das RCD war erst 2012 aus der Legislative ausgeschieden, nachdem die Partei überraschend die Parlamentswahl 2012 boykottierte. RCD und Sozialistische Front (FFS), die zweite in der Kabylei verankerte Partei, hatten die Rollen getauscht. Rief das RCD 2012 wie auch 2014 zum Boykott auf, nahm die FFS 2012 erstmals seit Beginn der 1990er wieder an einem Urnengang teil. Bei der Präsidentschaftswahl 2014 positionierte sich die FFS ambivalent. Zwar bezeichnete sie die Wahl als „Theaterstück“ und ging schon im Vorfeld von Betrug aus, der Boykottkampagne schloss sie sich dennoch nicht an.6Während viele dem RCD noch immer skeptisch gegenüberstehen, war die MSP von 1997 bis 2012 gar Koalitionspartner von FLN und RND in der Regierung und hat sich von der Rolle des Feigenblattes der FLN nicht wieder erholt. Bemerkenswert ist jedoch, dass bei der Präsidentschaftswahl 2014 erstmals seit Einführung des Mehrparteiensystems 1990 kein Kandidat des islamistischen Lagers zur Wahl angetreten ist.
Aufgrund der Enttäuschung vieler Menschen über die etablierte Opposition ist es nicht verwunderlich, dass mit der erst 2013 formierten Protestbewegung „Barakat“ eine parteiübergreifend operierende Organisation mit ihrer Boykottkampagne am meisten Staub aufwirbelte. Während Kommentatoren in „Barakat“ schon die algerische Version von Ägyptens „Kefaya“-Bewegung erkennen, die lange vor der Revolution dem Teilerfolg der Revolte den Weg bereitete, betont Prof. Dr. Rachid Ouaissa von der Universität Marburg, bislang seien die Proteste und der Einfluss „Barakats“ nur auf die urbanen Zentren im Norden Algeriens beschränkt. Der Soziologe Nasser Djabi fügt hinzu die Bewegung könne nur dann dem Regime gefährlich werden, wenn sie sich von der Mittelklasse auf untere Bevölkerungsschichten ausweitet und das sei in Algerien noch nicht der Fall.
Auch Algeriens unabhängige Gewerkschaften stellen sich gegen Bouteflikas viertes Mandat. Der Präsident des unabhängigen Gewerkschaftsverbands des öffentlichen Dienstes (SNAPAP) Rachid Malaoui bezeichnete die Wahl schon im Vorfeld als „Maskerade“ und kündigte die Teilnahme der SNAPAP an Protestaktionen an. Unabhängige Berufsverbände und Gewerkschaften sind Algeriens Regierung ein Dorn im Auge. Streiks und Arbeitskämpfe wurden faktisch für illegal erklärt, in gewissen Berufsfeldern sei die Gründung unabhängiger Gewerkschaften weiter untersagt. Im Herbst hatte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch Algiers repressiven Umgang mit unabhängigen Gewerkschaften heftig kritisiert und das Land aufgefordert entsprechende Gesetze zu revidieren und Gewerkschaftsaktivitäten nicht weiter strafrechtlich zu verfolgen.
Internationale Wahlkampfhilfe für Bouteflika
Während Wahlbeobachter der Afrikanischen Union und der Arabischen Liga der Präsidentschaftswahl 2014 in Algerien bescheinigten im Rahmen internationaler Standards abgelaufen zu sein, hatte die EU verzichtet Wahlbeobachter ins Land zu schicken. Stattdessen reisten kurz vor dem Urnengang westliche Spitzenpolitiker nach Algier. Alle Besuche wurden vom Staatsfernsehen begleitet. Bouteflika wirkt bei den Auftritten keinesfalls sattelfest, doch die Symbolik war eindeutig: dieser Kandidat ist gesundheitlich in der Lage Algerien zu regieren. Neben US-Außenminister John Kerry war Spaniens Außenminister José Manuel García-Margallo zu Gast in Algier. García-Margallo machte keinen Hehl aus seinen Ambitionen zukünftig mehr Gas aus Algerien importieren zu wollen. Spaniens Regierung betonte man wolle das gute Verhältnis zu Algerien fortsetzen. Das Land sei ein „zuverlässiger Partner“ und unersetzlich für die Stabilität in der strategische wichtigen Region. An gleicher Stelle werden die Wahlen als „transparent und pluralistisch“ bezeichnet.
Algerien ist nach Russland und Norwegen Europas dritt-größter Energielieferant. Angesichts der derzeitigen Krise in der Ukraine werden Algeriens Energiereserven für Europa immer wichtiger. Algeriens internationale Partner sind an der Stabilität des Landes interessiert, schließlich ist die verstärkte politische Instabilität der Region im Fahrwasser des Arabischen Frühlings eine schwere Hypothek für die wirtschaftlichen Interessen der Industrienationen.7Rüstungskonzerne verdienen zwar gut in der Region – vor allem in Algerien – doch die im Ausland produzeriende und vom niedrigen Lohnniveau profitierende europäische und US-amerikanische Konsumgüterindustrie steht unter Druck. Bouteflikas Algerien ist zum wichtigsten wirtschaftspolitischen Partner des Westens in der Region aufgestiegen und dieser weiß mit Bouteflikas Clan an der Macht seine sicherheitspolitischen, ökonomischen und migrationspolitischen Interessen gewahrt. In Washington und Brüssel ist man mit dem Wahlergebnis zufrieden, schließlich entwickelte sich „Barakat“ nicht unmittelbar zum Katalysator für die wirtschaftliche Misere und die soziale Segregation im Land. Algiers Militärregime ist für die EU ein Garant der Stabilität.
Das System Bouteflika – Wer wird neuer Vize-Präsident?
Bouteflikas „Nationale Aussöhnung“ nach Ende des Bürgerkrieges zwischen militanten Islamisten und der Armee, der rund 150000 Menschenleben gekostet hat, wurde flankiert von massiv gestiegenen Einnahmen aus dem Erdöl- und Erdgasexport. Das Land ist nach Nigeria der zweitgrößte Energieexporteur Afrikas und die Regierung verfügt ob des hohen Weltmarktpreisniveaus für Erdöl über hohe Einkünfte, die ob der weit verbreiteten Korruption im Staatsapparat und einer auf Importen basierenden Wirtschaftspolitik meist in dunklen Kanälen verschwinden oder für den Import von Lebensmitteln und Konsumgüter verbraucht werden. Trotz des Reichtums leidet das Land dennoch unter hoher Arbeitslosigkeit und eklatanter Wohnungsnot. Die Regierung hat sich bislang unfähig gezeigt eine adäquate Wirtschafts- und Sozialpolitik zu implementieren, die den Reichtum Algeriens angemessen verteilt. Hohe Subventionen auf Lebensmittel und Konsumgüter lösen Algeriens Beschäftigungs- und Korruptionsprobleme keinesfalls.
Dem Land drohen ob der massiven sozialen Ungleichheit mittelfristig Unruhen. Beobachtern zufolge ist es keine Frage, ob ein erneuter Massenaufstand das Land erschüttern wird, sondern lediglich wann. Etablierte Oppositionsparteien sind diskreditiert, denn das Regime hat um sich herum ein machtpolitisches Vakuum geschaffen. Das Regime hat alle politischen Kräfte im Land kooptiert oder durch eine partielle Beteiligung an den Öleinnahmen gefügig gemacht und kalt gestellt. Zudem hat Algier die Einkünfte aus dem Ölexport dazu genutzt, eine handelsorientierte Mittelschicht zu fördern. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Industrie schwach entwickelt. Doch durch die Vergabe zinsloser Kredite hat das Regime in den letzten Jahren rund 600000 Jobs geschaffen. Das Ergebnis dieser Strategie sind Hunderttausende beim Staat verschuldete Jungunternehmer.
Vor diesem wirtschaftspolitischen Hintergrund agiert der so genannte tiefe Staat. Algeriens Regime ist eine Staatsklasse, eine Art Kartell, dessen verschiedene rivalisierende Fraktionen hinter den Kulissen informelle Abmachungen zur Machtteilung vereinbaren. Offenbar konnten sich die wichtigsten Gruppen innerhalb des Apparates – Armee, Geheimdienst und Bouteflikas FLN – nicht auf einen Nachfolger einigen und Boufeflika war daher gezwungen erneut zu kandidieren“, betont Ouaissa. Immerhin war Bouteflika 1999 als erklärter „Konsenskandidat“ angetreten und konnte die Rivalitäten zwischen den verschiedenen Fraktionen innerhalb der FLN sowie im Militär- und Geheimdienstapparat lange Zeit ausbalancieren. Dennoch brachen in seiner dritten Amtszeit vermehrt offene Machtkämpfe in der FLN und zwischen seinem Clan und dem allmächtigen algerischen Geheimdienst DRS (Département du renseignement et de la sécurité) aus. Bouteflika setzte im Sommer 2013 trotz heftiger Proteste aus der FLN Saïdani als neuen FLN-Generalsekretär ein. Durch eine Kabinettsumbildung installierte er daraufhin mit Tayeb Belaiz und Tayeb Louh zwei enge Verbündete im Innen- und Justizministerium und kontrollierte mit der Besetzung des Chefpostens beim Verfassungsrat mit seinem ehemaligen Außenminister Mourad Medelci auch diesen. Saïdani legte sich sogleich mit dem von Mohamed Mediène geführten DRS an, der in den letzten Jahren offenbar gezielt Bouteflika-Vertraute mit Korruptionsaffären zu Fall brachte und somit versuchte, den Präsidenten politisch zu schwächen.
Am Status Quo haben diese Affären nichts geändert, ganz im Gegenteil. Algeriens Regime ist fragmentiert, doch die an der Macht beteiligten Fraktionen im Machtapparat – ob aus der FLN, dem DRS oder der Armee – haben ein elementares Interesse daran, dass die effektiven Machtstrukturen im Verborgenen bleiben. So hält Ouaissa den Schlagabtausch zwischen DRS und FLN auch für ein „inszeniertes Theaterstück“. Solange die Profiteure des „Systems Bouteflika“ auch weiter die Einkünfte aus dem Erdölexport unter sich aufteilen können, haben die Machthaber in Algier kein Interesse an offenen Rivalitäten und das Regime pumpt Geld in die Gesellschaft – meist durch Subventionen und Kredite – um die Wut im Land zu kanalisieren. Dennoch ist Bouteflika politisch abgeschrieben. Ouaissa glaubt: „Der neue Schlüsselposten im Staatsapparat wird das Amt des Vize-Präsidenten werden, dessen Amtsträger bei einem Ableben Bouteflikas auf dessen Posten nachrücken kann. Die Entscheidung darüber, wer diesen Posten übernehmen wird, ist am Ende wichtiger als die Präsidentschaftswahlen selbst. Dieses Prozedere erlaubt es Algeriens Staatsklasse, die Entscheidung über Bouteflikas Nachfolge elegant zu lösen und ein Machtvakuum nach dessen Tod zu verhindern.“ Favorit auf das Amt sei neben Ahmed Ouyahia Bouteflikas jüngerer Bruder Said, der sich als Berater des Präsidenten bereits seit Jahren in den engeren Machtzirkeln bewegt und ein Garant für den Status Quo Algeriens wäre.