KAS will gegen harte Haftstrafen für ihre Mitarbeiter in Kairo Berufung einlegen. Derweil wächst die Sorge ägyptischer NGO’s vor ausufernder staatlicher Willkür
Die Empörung nach den drakonischen Haftstrafen für ausländische Organisationen in Kairo ist groß, sowohl in Ägypten als auch im Ausland. Am Dienstag verurteilte ein Strafgericht in der ägyptischen Hauptstadt Kairo 43 Mitarbeiter ausländischer Organisationen zu teils langjährigen Haftstrafen, unter ihnen zwei Mitarbeiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Zudem verfügte das Gericht die Schließung des Auslandsbüros der KAS und weiterer vier Organisationen. Das Urteil bestätigt erneut Befürchtungen zahlreicher Jugend- und Menschenrechtsgruppen und der Opposition in Ägypten, die mit Sorge die Versuche der ägyptischen Regierung beobachten Zivilgesellschaft und unabhängige Presse mundtot zu machen und ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken.
Die Linkspartei-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung und die Heinrich-Böll-Stiftung, die den Grünen nahe steht, legten nach den Razzien in Kairo im Dezember 2011 ihre Pläne auf Eis in Ägypten neue Büros zu eröffnen und warteten vorerst ab. Inzwischen bereiten beide die Eröffnung ihrer neuen Nordafrika-Büros in Tunesiens Hauptstadt Tunis vor, da die Rechtsunsicherheit in Ägypten ein effektives Arbeiten nicht mehr erlaubt.
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und der Vorsitzende der KAS Hans-Gerd Pöttering verurteilten den Richterspruch vom Dienstag scharf und kündigten Widerstand gegen das Urteil an. Anwälte der Angeklagten wollen vor dem Kassationsgericht in Kairo Berufung gegen das Urteil einlegen. Die Chancen für eine erfolgreiche Aufhebung der Haftstrafen sind jedoch ungewiss, schließlich setzen Ägyptens Regierung und der seit gut elf Monaten regierende Staatspräsident Mohamed Mursi die Zivilgesellschaft zunehmend unter Druck.
Nach der ägyptischen Revolution 2011 und dem Sturz des langjährigen autokratischen Machthabers Hosni Mubarak erlebte Ägypten eine bis dahin nicht dagewesene Gründungswelle von Menschenrechts- und Nicht-Regierungsorganisationen sowie unabhängigen Gewerkschaften. Immer wieder riefen Jugendgruppen, neue politische Parteien und Arbeitnehmerverbände zu Protesten gegen die Militärherrschaft und später gegen die Politik des den Muslimbrüdern nahe stehenden Staatspräsidenten auf, eine beispiellose Streikwelle erfasste das Land und setzte die neue Regierung und Präsident Mursi von Beginn seiner Amtszeit an unter massiven Druck.
Inzwischen schlägt die neue Machtelite mit voller Kraft zurück. Demonstrationen werden verboten, Streiks unabhängiger Gewerkschaften mit Polizeieinsätzen beendet und Journalisten zunehmend in ihrer Arbeit behindert. Seit Monaten werkeln Regierung, Präsident und der Shura-Rat, das Oberhaus des ägyptischen Parlamentes, an einem Entwurf für einen Gesetzestext, der die Arbeit von Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) regeln soll. Ein erster Entwurf, den der politische Arm der Muslimbruderschaft, die Partei für Freiheit und Gerechtigkeit, dem Shura-Rat vorgelegt hat, wurde von der Kammer nach monatelangem Tauziehen jedoch nicht angenommen. Inzwischen liegt der Kammer ein neuer Entwurf vor, der jedoch ebenso wie der erste von der Opposition und Menschenrechtsgruppen strikt abgelehnt wird.
Während das Büro von Präsident Mursi betont, der Entwurf erhalte „die Balance zwischen Ägyptens Offenheit gegenüber der Welt und seiner Souveränität und Unabhängigkeit“, kritisiert die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) auch den neuen Text als zu restriktiv. Er formalisiere die staatliche Kontrolle über NGO‘s und versperre der Zivilgesellschaft den Zugang zu nationalen und internationalen Geldgebern. Der Entwurf zerstöre alle Hoffnungen auf eine frei und unabhängig arbeitende Zivilgesellschaft, so die Nahost-Direktorin von HRW Sarah Leah Whitson. Die Regierung bleibt derweil unnachgiebig und fordert stärkere Restriktionen von Finanzhilfen für Menschenrechtsgruppen aus dem Ausland. Offizielle Begründung: Sicherheitsbedenken und die Gefahr von Geldwäsche und Missbrauch. Der Entwurf sieht vor, dass NGO’s der Regierung Jahresbilanzen, Kopien interner Entscheidungen sowie Berichte ihre Aktivitäten vorlegen müssen.
Der Entwurf des NGO-Gesetzes ist jedoch nur der letzte Akt in einer ganzen Reihe von Vorfällen, die die Regierung in Sachen Meinungsfreiheit nicht gut dastehen lassen. Vor wenigen Wochen wurde der bekannte TV-Satiriker Bassem Youssef wegen Beleidigung des Präsidenten verhaftet. Er wurde zwar kurz darauf gegen Kaution freigelassen und sendet weiterhin einmal pro Woche sein Satire-Programm, die Anklage steht jedoch weiterhin im Raum – mit ungewissem Ausgang. Am vergangenen Montag wurde zudem der unabhängige Menschenrechtsaktivist Ahmed Douma von einem Gericht in Tanta im Nildelta zu einer Haftstrafe von sechs Monaten verurteilt – wegen Präsidentenbeleidigung.
Die Aufbruchstimmung in Ägypten nach der Revolution ist Ernüchterung gewichen. Zwar wird das Land erstmals seit den 1950er Jahren von einem zivilen Präsidenten regiert, doch Mohamed Mursi setzt in vielen entscheidenden Bereichen die Politik seines Vorgängers schlichtweg fort. Am Status quo – sowohl in machtpolitischen als auch in wirtschaftlichen Belangen – hat sich unter Mursi nichts oder kaum etwas verändert. Ende Juni jährt sich die Amtseinsetzung des Präsidenten zum ersten Mal, zahlreiche Menschenrechts- und Jugendgruppen haben zu diesem Stichtag zu Protesten aufgerufen.
© Sofian Philip Naceur 2013