Eine Woche nach Vereidigung des neu gewählten Präsidenten Ägyptens Mohamed Mursi traf Außenminister Guido Westerwelle (FDP) am Montag als erster europäischer Spitzenpolitiker in Kairo ein. Nach einem Treffen mit seinen Amtskollegen Mohamed Kamel Amr standen Gespräche mit dem Generalsekretär der Arabischen Liga Nabil Elaraby und dem den Muslimbrüdern nahe stehenden Mursi auf dem Programm. Westerwelle wolle durch seinen Besuch in Kairo ein „Signal für die demokratische Stabilität“ am Nil setzen. Bereits nach dem Wahlsieg hatte er dem neu gewählten Präsidenten gratuliert, betonte jedoch der Weg zu echten demokrantischen Verhältnissen sei noch weit.
Berlins Annäherung an Muslimbrüder soll politische Stabilität in Ägypten sichern
Das Auswärtige Amt sucht seit Ausbruch der Revolution 2011 seinen politischen Einfluss am Nil auszubauen. Geopolitische Interessen spielen bei den Vorstößen Westerwelles in Ägypten eine wichtige Rolle, nachdem Berlin durch seine zögerliche Haltung beim Nato-Einsatz in Libyen beklagt keinen ungehinderten Zugang zum libyschen Energiemarkt zu haben. Diese Fehler will Deutschland nicht noch einmal machen und engagierte sich von Beginn an aktiv an der Stabilisierung der für deutsche Investoren wichtigen ägyptischen Volkswirtschaft. Die Annäherung des Westens an die Muslimbrüder ist wirtschaftspolitisch motiviert, schließlich befürworten sie grundsätzlich eine eher neoliberale Wirtschaftspolitik und stehen gewerkschaftlichen Protesten skeptisch gegenüber.
Berlin ist an einer zügigen Stabilisierung der innenpolitischen Situation in Ägypten interessiert. Das Land am Nil ist angesichts der strategischen Bedeutung des Suez-Kanals als sicherer Handelsweg für die exportorientierte Industrie in Deutschland wichtig. Zudem ist das ägyptische Militär ein strategischer Partner im Nahen Osten, Ausbildungshilfen der Bundeswehr für ägyptische Soldaten werden bereits seit Jahren durchgeführt. Noch 2009 hatte sich das Volumen deutscher Rüstungsexporte nach Ägypten mehr als verdoppelt, auch wenn seit Ausbruch der Revolution alle Lieferungen aus Deutschland vorerst gestoppt worden sind.
Westerwelle war bereits im Januar in Kairo und führte erste Gespräche mit Mursi und Feldmarschall Hussein Tantawi, dem Vorsitzenden des Obersten Rats der Streitkräfte (SCAF), der zügig nach dem Rücktritt des vom Westen gestützten Autokraten Hosni Mubarak am 11. März 2011 die Exekutive monopolisierte. Ob der Machtfülle des SCAF nach der Revolution organisierte sich am Nil Widerstand gegen den autoritären Führungsstil der Generäle, denen vorgeworfen wird nur eigene wirtschaftliche Privilegien sichern zu wollen und eine Konterrevolution voranzutreiben.
Kurz vor der Stichwahl um das Präsidentenamt hatte der SCAF unilateral eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, die die Kompetenzen des Präsidenten einschränkten, um dem Machtverlust durch einen Wahlsieg Mursis zuvorzukommen, der SCAF gab sich selbst legislative Vollmachten. Das neu gewählte von der Muslimbrüder-nahen Freiheits- und Gerechtigkeitspartei (FJP) dominierte Parlament war vom Verfassungsgericht mit Verweis auf die Interimsverfassung von 2011 aufgelöst worden. Das präsidiale Dekret zur Wiedereinsetzung des Parlaments durch Mursi vom Wochenende eröffnete eine neue Runde im Machtkampf zwischen den Konservativen und den Militärs.
Wie der TV-Kanal Al Jazeera betonte, sei keiner Institution die Autorität verliehen worden das Parlament aufzulösen. Das Gericht bezog klar Stellung auf Seiten der Generäle und betonte, seine Entscheidung die Kammer aufzulösen sei bindend. Am Dienstag bekräftigte das Verfassungsgericht erneut seine Entscheidung das Parlament aufzulösen, während das Parlament zu einer kurzweiligen Sitzung zusammenkam, nur um sich auf unbestimmte Zeit zu vertagen. Kritik an dem Manöver Mursis wurde auch von säkularen und linken Kräften geäußert, die kaum Sitze in der Kammer stellen. Am Dienstag versammelten sich erstmals seit der symbolischen Antrittsrede Mursis auf dem Tahrir Square vor zwei Wochen wieder Tausende Demonstranten auf dem Platz im Herzen Kairos, der von der FJP angekündigte „Marsch der Millionen“ blieb jedoch aus, auch weil sich die breite Koalition aus Regimegegnern zunehmend in Auflösung befindet. Säkulare und linke Kräfte drohen zunehmend zwischen den Fronten zerrieben zu werden.
© Sofian Philip Naceur 2012