Algerien schiebt ab

Algeriens repressives und willkürliches Vorgehen gegen im Land lebende geflüchtete Menschen und Wanderarbeitnehmer aus Subsahara-Afrika sorgt inzwischen auch bei den Vereinten Nationen für Unmut. In einer bisher beispiellosen Deutlichkeit forderte das UN-Menschenrechtskommissariat (UNHCHR) in Genf bereits am 22. Mai die Regierung unmissverständlich dazu auf, die seit Jahresbeginn intensiver betriebenen Massenabschiebungen von angeblich illegal im Land lebenden Menschen unverzüglich zu stoppen (erschienen in junge Welt am 1.6.2018).

„Die kollektiven Ausweisungen von Migranten, ohne individuelle Prüfung oder irgendwelcher Garantien für ordnungsgemäße Verfahren, ist zutiefst alarmierend und steht nicht im Einklang mit Algeriens gesetzlichen Verpflichtungen in Sachen internationaler Menschenrechte, einschließlich der Internationalen Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen, die Algerien ratifiziert hat“, erklärte die Sprecherin des UNHCHR, Ravina Shamdasani, im Rahmen einer Pressekonferenz in Genf.

Bereits seit Ende 2014 führen algerische Behörden regelmäßig willkürliche Massenverhaftungen von afrikanischen Einwanderern im dicht besiedelten Norden des Landes durch und schieben diese nach wenigen Tagen in Haft und ohne adäquate Einzelfallprüfung in die beiden Nachbarländer Niger und Mali ab. Seit dem Amtsantritt des auf populistische Stimmungsmache gegen afrikanische Einwanderer setzenden Premierministers Algeriens, Ahmed Ouyahia, im August 2017 haben algerische Behörden ihr repressives Vorgehen weiter verstärkt.

Dabei werden Betroffene in Buskonvois von der Hauptstadt Algier in das 2000 Kilometer südlich gelegene Tamanrasset transferiert und von algerischen Sicherheitskräften immer wieder mitten in der Wüste nahe der Grenze zu Niger ausgesetzt. Die Regierung Nigers kritisierte Algerien zuletzt mehrfach dafür, nicht nur nigrische Staatsbürger, sondern auch Menschen aus westafrikanischen Ländern dorthin abgeschoben zu haben.

Nur wenige Tage nach der Kritik Shamdasanis an Algeriens Umgang mit Einwanderern hatten die unabhängige algerische Menschenrechtsliga LADDH und der Gewerkschaftsaktivist Fouad Hassam von der autonomen algerischen Gewerkschaft für Beschäftige im öffentlichen Dienst (SNAPAP) eine Petition auf der Internetseite Avaaz lanciert, in der Algeriens Regierung dazu aufgefordert wird, die Massenabschiebungen von afrikanischen Einwanderern zu beenden und eine adäquate Asylgesetzgebung zu verabschieden.

Die Petition mit dem Titel „Wir sind alle Migranten“ wird dabei von einem breiten Bündnis aus der algerischen Zivilgesellschaft unterstützt. Neben der LADDH, einiger unabhängiger Gewerkschaften und Frauenrechtsgruppen wurde der Aufruf auch von der als regierungsnah geltenden algerischen Menschenrechtsliga LADH sowie einiger Menschenrechtsorganisationen aus Tunesien, Marokko und Frankreich unterzeichnet.

Auch das Netzwerk europäischer und afrikanischer Menschenrechtsorganisationen, EuroMed Rights, unterstützt die Petition sowie die Stellungnahme des UNHCHR und fordert die in Sachen Migrationsabwehr mit Algerien kooperierende Europäische Union dazu auf, sich dem Aufruf anzuschließen und das Vorgehen der algerischen Behörden zu verurteilen.

Algeriens Außenministerium reagierte derweil ungehalten über die Stellungnahme der UN, wies die Äußerungen Shamsadanis als „inakzeptabel“ zurück und beauftragte Algeriens Gesandten bei der UN, die „Missbilligung“ der algerischen Regierung über die Kritik des UNHCHR zum Ausdruck zu bringen und eine „Klarstellung“ einzufordern. In einer weiteren Mitteilung bezeichnete das Ressort von Algeriens Außenminister Abdelkader Messahel die Kritik der algerischen Zivilgesellschaft an Algeriens Umgang mit afrikanischen Einwanderern als „böswillige Kampagne“. Algerien halte sich an seine internationalen Verpflichtungen und sei „gastfreundlich“ gegenüber jenen Menschen, die in ihren jeweiligen Heimatländern verfolgt werden oder sich verfolgt fühlen.

© Sofian Philip Naceur 2018