Abschottung um jeden Preis

Die Bundesregierung setzt bei der migrationspolitischen Abschottung Europas im Mittelmeerraum unbeirrt auf die Kooperation mit dem ägyptischen Militärregime und der von Fajes Al-Sarradsch geführten international anerkannten libyschen Einheitsregierung. Das geht aus der Antwort Berlins auf eine Kleine Anfrage (Bundesdrucksache 18-9563) der Linksfraktion im Deutschen Bundestag hervor (erschienen in junge Welt am 20.10.2016).

Wie die Abgeordneten Andrej Hunko, Wolfgang Gehrke, Sevim Dagdalen, Annette Groth und Inge Höger in der Vorbemerkung der Anfrage ausführen, haben die Einheitsregierung Al-Sarradschs mit Sitz in Libyens Hauptstadt Tripolis und die EU bereits im August 2016 eine Absichtserklärung zur Durchführung von Ausbildungsmaßnahmen für Küstenwache und Marine unterzeichnet. Operativ sollen diese in Koordination mit der EU-Militärmission EUNAFVOR MED durchgeführt werden und umfassen Trainings an Land, auf See und an Bord von Schiffen der libyschen Küstenwache und der Marine. Durch die Verbesserung der Qualifikation des Personals solle die Funktionsfähigkeit der Küstenwache erhöht werden, erklärt Berlin in der Antwort auf die Anfrage und betont, Ziel der Zusammenarbeit sei es, Einheitsregierung und staatliche Strukturen in Libyen insgesamt zu stärken. Auch die EU-Grenzschutzagentur Frontex und die europäische Polizeibehörde Europol sollen in die Ausbildungsmaßnahmen eingebunden werden.

Berlin und Brüssel setzen damit in der Migrationspolitik im Mittelmeerraum weiterhin vor allem auf sicherheitspolitische Instrumente und bauen die Vorverlagerung der EU-Grenzabschottung nach Nordafrika aus. Dabei erklärt die Bundesregierung in ihrer Antwort, dass es in Libyen „regelmäßig zu massiven Menschenrechtsverletzungen durch Milizen verschiedener Lager“ auch an Migranten und Flüchtlingen komme. Es solle Aufnahmelager für Flüchtlinge und Migranten im Land geben, ebenso wie „gefängnisähnliche“ Haftzentren, die meist von Milizen betrieben werden.“ Diese seien überfüllt, während Versorgungslage und Lebensbedingungen „ungenügend bis menschenunwürdig“ sein sollen, berichtet Berlin.

Menschenrechtsverstöße gegen Flüchtlinge und Migranten sind auch aus Ägypten bekannt, doch Bundesregierung und EU halten an der verstärkten Einbindung des Landes in die Festung Europa fest. Denn auch die Kooperation mit dem Militärregime in Kairo unter Präsident Abdel Fattah Al-Sisi wird weiter ausgebaut. Schon im Juli wurde im Rahmen des Berlin-Besuches des ägyptischen Innenministers Magdy Abdel Ghaffar ein Abkommen über die Kooperation im Sicherheitsbereich zwischen Deutschland und Ägypten unterzeichnet. Dieses ziele auf die „Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung von Straftaten der organisierten Kriminalität und des Terrorismus sowie im Bereich der technischen Hilfe bei Katastrophen“, erklärt Berlin. Schulungen zum Thema Grenzschutz und Urkunden- und Dokumentensicherheit seien bereits in Alexandria und Hurghada durchgeführt worden. Für 2016 sind ähnliche Module in Kairo und am Flughafen in Frankfurt am Main geplant.

Eine Einbindung der EU-Militärmission EUNAFVOR MED in die Zusammenarbeit mit Ägypten zur Grenzüberwachung sei derzeit nicht vorgesehen, so Berlin. Dennoch bleibt fraglich, wie effektiv eine Kooperation mit Tripolis und Kairo in der Migrationsabwehr sein wird. Berlin weiß, dass die Einheitsregierung nur Abschnitte der Küste rund um Tripolis unter Kontrolle hat, während große Teile der See-, Luft- und Landgrenzen von rivalisierenden Milizen wie der von General Khalifa Haftar kommandierten Libyschen Nationalarmee kontrolliert werden. Diese ist ein entschiedener Gegner der Einheitsregierung, wird aber von Ägypten massiv unterstützt. Brüssel und Berlin setzen in Libyen auf die Einheitsregierung und Al-Sisis Ägypten, dass wiederum den stärksten Gegner Al-Sarradschs aufrüstet. Mit dieser widersprüchlichen Politik im östlichen Mittelmeerraum dürfte das erklärte Ziel der EU, Libyen zu stabilisieren, fehlschlagen. Ein Ende der Spannungen in der Region ist damit auf absehbare Zeit ausgeschlossen.

© Sofian Philip Naceur 2016

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