Ägyptens Parlament tritt erstmals zusammen – Zirkus oder Volksvertretung?

Ägypten hat ein neues Parlament. Mehr Zirkus denn Volksvertretung, hieß es jedoch mehrfach in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter nach der konstituierenden ersten Sitzung der Kammer am Sonntag. Denn obwohl nur wenige Stunden alt erlebte das Repräsentantenhaus bereits seinen ersten Skandal in Person des für seine umstrittenen und oft aggressiven Stellungnahmen bekannten Präsidenten des Kairoer Fußballclubs Zamalek, Mortada Mansour (erschienen in Junge Welt am 12.1.2016).

Der entschiedene Gegner der ägyptischen Revolution 2011 weigerte sich den Amtseid wie vorgeschrieben zu verlesen und betonte, er respektiere „Artikel der Verfassung“, diese aber nicht als ganzes. Die Präambel der Verfassung verschreibt sich explizit den Zielen der Revolution von 2011 und der sogenannten Revolution von 2013, mit der die Absetzung des islamistischen Expräsidenten Ägyptens Mohamed Mursi gemeint ist. Erst nach Drängen einiger Abgeordneter fügte sich Mansour und verlas den Amtseid korrekt.

Das Parlament wird derweil als Ende des politischen Übergangsfahrplans gepriesen, der nach dem Putsch gegen Mursi und der faktischen Machtübernahme der Armee vom damaligen Verteidigungsminister und heutigem Staatspräsidenten Abdel Fattah Al-Sisi ausgerufen wurde. Nach der Verabschiedung einer neuen Verfassung im Januar 2014 und der Wahl eines neuen Staatsoberhauptes im Mai 2014 ist die Konstituierung einer Volksvertretung die formal letzte Etappe der politischen Transition. Erstmals seit der gerichtlichen Auflösung des Parlaments im Juni 2012 hat Ägypten damit wieder eine gewählte Volksvertretung.

Die Wahl war jedoch bestimmt von einem politischen Klima, in dem sowohl die islamistische Opposition als auch linke und liberale Parteien das Nachsehen hatten. Erstmals seit fast 30 Jahren finden sich keine Mursis Muslimbruderschaft angehörende Abgeordnete im Parlament. Die Organisation ist in Ägypten verboten und wurde von der Regierung als Terrororganisation deklariert. Aus dem islamistischen Lager trat lediglich die ultrakonservative Partei Das Licht (Hizb Al-Nour) an, wurde jedoch an den Urnen für ihre Kooperation mit dem Regime abgestraft und kommt auf nur elf Mandate. Linke Parteien wie die Sozialistische Volksallianz gingen leer aus, während die Sozialdemokratische Partei mit nur fünf Abgeordneten im 596 Sitze zählenden Parlament vertreten ist. Klare Sieger der Abstimmung sind regimenahe Parteien und Kandidaten, doch ist das Regime noch meilenweit von einer stabilen mehrheitsfähigen Koalition entfernt.

Stärkste Kraft in der neuen Kammer ist die Wahlallianz In Liebe zu Ägypten, die sich inzwischen Koalition zur Unterstützung des ägyptischen Staates nennt und einen Mehrheitsblock anführen will. Da jedoch zahlreiche Parteien und unabhängige Abgeordnete auf den Listen der Allianz in das Repräsentantenhaus einzogen, sich aber der straffen Hierarchie der Allianz widersetzen, ist eine stabile Mehrheit weiter ungewiss. Die stärkste Partei in der Kammer, die Ägyptens Unternehmerschaft und dem 2011 entmachteten Exdiktator des Landes Hosni Mubarak nahe stehende Partei der Freien Ägypter, will sich der Linie des Chefs der Allianz, dem ehemaligen Geheimdienstoffizier Sameh Seif Al-Yazal, nicht beugen und parteipolitischen Zielen Vorrang einräumen. Die zweitstärkste Kraft, die Partei Zukunft des Heimatlandes, setzte unterdessen auf politisches Taktieren. Nachdem sie sich im Dezember aus der Koalitionsbildung zurückzog, kündigte die Parteiführung nur eine Woche später an sich dem Block wieder angeschlossen zu haben – zu ihren Bedingungen.

Das Abstimmungsergebnis bei der Wahl eines Parlamentssprechers – ein erster Lackmustest für die Al-Sisi nahe stehende Koalition – signalisiert aber, dass der Block tatsächlich über massiven Einfluss im Parlament verfügt und gar eine Zweidrittelmehrheit zusammenkratzen kann. Ali Abdul-Aal, ein glühender Unterstützer Al-Sisis, wurde mit 401 Stimmen zum neuen Parlamentssprecher gewählt. Es wird erwartet, dass der Block zunächst mit wechselnden Partnern regieren wird, bevor sich mittelfristig eine klare Lagerbildung herauskristallisiert.

© Sofian Philip Naceur 2016

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