Ägypten – Repression vor Jahrestag

Wenige Wochen vor dem Jahrestag des ägyptischen Aufstandes am 25. Januar 2011 intensivieren die Behörden die strafrechtliche Verfolgung regimekritischer Aktivisten. Wie schon in den Jahren zuvor will das Regime unmittelbar vor dem symbolisch aufgeladenen Datum ein Zeichen setzen und Exempel statuieren. Jüngster Fall ist die Verurteilung von fünf jungen Ägyptern zu je zwei Jahren Haft. Ihnen wird vorgeworfen gegen das 2013 verabschiedete umstrittene Protestgesetz und das Versammlungsgesetz aus dem Jahr 1914 verstoßen zu haben. Doch der Prozess gegen den Chirurg Ahmed Mohamed Said und seine Mitangeklagten wirft Fragen auf und entbehre jeglicher rechtsstaatlicher Grundlage, betont sein Anwalt Anas Sayed (erschienen in junge Welt am 23.12.2015).

Said war gemeinsam mit Mostafa Ibrahim am 19. November 2015 in einem Café nahe des Abdeen-Palastes im Kairoer Stadtzentrum von Zivilpolizisten verhaftet und in die Abdeen-Polizeiwache gebracht worden. Die beiden seien dort von Geheimdienstmitarbeitern aufgesucht und gefoltert worden. Angehörige der beiden inzwischen Verurteilten berichten von Elektroschocks und Schlägen, die Beamten hätten Zigaretten auf ihrer Haut ausgedrückt. Am 13. Dezember wurde ihnen gemeinsam mit drei weiteren Angeklagten der Prozess gemacht. Doch der Richterspruch basiere lediglich auf einem Bericht eines Geheimdienstoffiziers, weitere Beweisstücke gäbe es nicht, betont Saids Anwalt gegenüber jW. Diesem Bericht zufolge hätten die fünf an einer nicht genehmigten Demonstration nahe des Abdeen-Palastes teilgenommen und damit sowohl gegen das Protestgesetz als auch das Versammlungsgesetz verstoßen. Doch an dem Tag gab es an dem genannten Ort keinerlei Proteste oder Kundgebungen, selbst Ägyptens Verkehrsministerium weiß von nichts.

Wenige Stunden vor der Verhaftung Saids und Ibrahims fand jedoch auf der Brücke des 6. Oktober rund drei Kilometer vom Abdeen-Palast entfernt eine Mahnwache für die 49 Opfer des Massakers in der Mohamed Mahmud-Straße von 2011 statt. Neun Personen wurden nach Ende der Gedenkveranstaltung ebenso wegen Verstößen gegen das Protestgesetz inhaftiert. Ihnen wird in einem zweiten Verfahren der Prozess gemacht. Ein Urteil steht noch aus und wird für Anfang Januar erwartet. Da Said und Ibrahim erst Stunden nach der Mahnwache und nicht in flagranti verhaftet wurden, habe der Geheimdienst die Demonstration in Abdeen erfunden, denn nur so sei die Verhaftung rechtens gewesen, erklärt der Anwalt Sayed. „Wären Said und seine Mitangeklagten wegen der Teilnahme an der Mahnwache auf der Brücke des 6. Oktober angeklagt worden, hätte das Verfahren eingestellt werden müssen, denn sie wurden willkürlich und ohne Haftbefehl auf der anderen Seite der Stadt festgesetzt“, meint er. Zudem sei das gesamte Verfahren konstruiert. Gamila Seryel-Din, der gemeinsam mit Said und Ibrahim der Prozess gemacht wurde, war gar erst am 22. November verhaftet worden als sie Nahrung und Kleidung zu den Häftlingen bringen wollte.

Said und Ibrahim sind derweil in einen partiellen Hungerstreik getreten, um gegen ihre Inhaftierung und die Prozessführung zu protestieren. In einer Stellungsnahme betont Said, die Vorwürfe gegen ihn seien haltlos. Die Demonstration, an der er angeblich teilgenommen habe, habe nicht stattgefunden. Unterdessen macht eine Unterstützergruppe für Said und dessen Mitbeschuldigte in Frankfurt am Main mobil. Said hatte zuvor im Universitätsklinikum der Stadt gearbeitet und seit 2012 mit Unterbrechungen in Deutschland gelebt. Er war erst im Herbst 2015 nach Kairo zurückgekehrt, um die Papiere für seine geplante Hochzeit mit einer Deutschen vorzubereiten.

Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat sich dem Fall inzwischen angenommen und fordert eine unverzügliche Freilassung der Inhaftierten sowie eine Untersuchung der Foltervorwürfe. Das Revisionsverfahren ist für den 30. Dezember angesetzt, doch egal wie dieses ausgehen wird: die Botschaft des Regimes ist klar. Wer es wagt im Januar auf die Straße zu ziehen und an den Ausbruch der Revolution zu erinnern, bekommt es mit der Staatsmacht zu tun.

© Sofian Philip Naceur 2015

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