Wahlen in Ägypten, aber niemand geht hin

Ägypten wählt ein neues Parlament, doch die wahlberechtigte Bevölkerung blieb auch der Stichwahl Anfang letzter Woche größtenteils fern. Offiziellen Zahlen zufolge lag die Wahlbeteiligung bei nur 21,7 Prozent. Damit ist die offizielle Beteiligung an der Stichwahl noch niedriger als in der ersten Runde des Urnengangs vor zwei Wochen. Und selbst diese kümmerlichen Zahlen dürften massiv geschönt worden sein, Wahllokale blieben auffallend leer. Auch die angespannte Wetterlage war mitverantwortlich für das Ausbleiben einer höheren Beteiligung. Aufgrund heftiger Regenfälle versanken Teile des Landes unter Wasser. Betroffen war vor allem die Mittelmeerstadt Alexandria, wo selbst das Stadtzentrum tagelang unter Wasser stand (erschienen in Junge Welt am 2.11.2015).

Überraschend ist dies nicht, zeigte sich doch schon vor Beginn der Wahl das offensichtliche Desinteresse der Bevölkerung an dem lange überfälligen Urnengang. Seit der gerichtlichen Absetzung des von islamistischen Kräften dominierten Parlaments Mitte 2012 gab es keine gewählte Volksvertretung mehr im Land. Viele Menschen betonten schon im Vorfeld der jüngsten Abstimmung, sie wüssten gar nicht, dass derzeit gewählt werde. Andere wiederum machten sich keinerlei Illusionen über die Ergebnisse des Wahlgangs, schließlich droht dem Land die Rückkehr einer politischen Kaste, die schon unter der Regentschaft des 2011 gestürzten Exdiktators Hosni Mubarak das parlamentarische Geschäft am Nil dominiert hatte.

Und so kam es auch. Die meisten Sitze in Ägyptens Einkammerparlament, dem Repräsentantenhaus, gingen an regime- und militärnahe Kräfte. Rund ein Drittel der neuen Volksvertreter entstammen der 2011 offiziell aufgelösten Nationaldemokratischen Partei Mubaraks und traten entweder auf regimenahen Listen oder als unabhängige Kandidaten an. Stärkste Kraft im neuen Parlament wurde die Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi nahe stehende Wahlkoalition In Liebe zu Ägypten (Fi Hob Masr), die bereits in der ersten Runde die erforderliche absolute Mehrheit für die Listenwahl erreichte und da auch diese Plätze per Mehrheitswahlrecht vergeben werden, sicherte sich die Koalition hier alle 60 zu vergebenden Sitze.

Stärkste Partei wurde die neoliberale Partei der Freien Ägypter (Al Masryeen Al Ahrar), die auch dank ihrer finanziell gut ausgestatteten Wahlkampfkasse 41 Mandate errang und damit im neuen Parlament gut aufgestellt ist. Neben ihren 36 Direktmandaten, zogen fünf weitere Parteimitglieder über die Fi Hob Masr-Liste in die neue Volksvertretung ein. Die Vaterlandspartei sicherte sich 30 Mandate, 17 gingen an die liberale Wafd-Partei. Die hoffnungsvoll gestartete Partei des Lichts (Hizb Al Nour), die einzige islamistische Partei, die zur Wahl antrat, enttäuschte und kommt auf lediglich zehn Sitze. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Partei durch den Wahlboykott der verbotenen Muslimbruderschaft zwar die einzige islamistische Kraft im Rennen war, aber 2013 mit Militär und altem Regime paktierte und den Sturz des islamistischen Expräsidenten des Landes Mohamed Mursis unterstützte. Hizb Al Nour verlor durch ihr damaliges Taktieren an Glaubwürdigkeit und schreckte damit das Gros der konservativen Wählerschaft ab. Von den insgesamt 91 Kandidaten der Partei, die in diesem ersten Wahlabschnitt antraten, schafften es nur 25 in die Stichwahl. Selbst in Alexandria, einer ihrer Hochburgen, ergatterten nur vier Kandidaten Sitze für das Repräsentantenhaus.

Linksliberale und revolutionäre Kräfte hatten das Nachsehen. Lediglich drei Vertreter der Sozialdemokraten und einige Unabhängige aus dem linken Lager werden in der neuen Volksvertretung mitreden dürfen.

Doch die Wahlfarce zum neuen Parlament ist mit diesem Ergebnis noch nicht beendet. Denn diese erste Stufe des Urnengangs fand nur in 14 von insgesamt 27 Provinzen des Landes statt. Die restlichen Provinzen stimmen Ende November ab. Erst nach der darauf folgenden Stichwahl Anfang Dezember lässt sich absehen wie die Mehrheitsverhältnisse im ägyptischen Repräsentantenhaus wirklich aussehen werden.

© Sofian Philip Naceur 2015

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