Die Sicherheitslage in Ägypten bleibt nach einer Reihe von Terroranschlägen im Norden der Sinai-Halbinsel weiter angespannt. Mindestens zwölf Menschen wurden bei drei Anschlägen auf Einrichtungen von Polizei und Armee in der Unruheprovinz getötet und dutzende weitere verletzt. Ein Selbstmordattentäter steuerte seinen Wagen auf eine Polizeistation in Al-Arish zu, als Sicherheitskräfte das Feuer eröffneten und das mit Sprengstoff beladenen Fahrzeug zur Explosion brachten. Mindestens fünf Polizisten und ein Zivilist wurden bei der heftigen Detonation getötet, teilte das Gesundheitsministerium in Kairo mit. Kurz darauf beschossen Unbekannte einen Ameecheckpoint in Rafah, der Stadt an der Grenze zum palästinensischen Gaza-Streifen, und verletzten mehrere Soldaten. Bei einem dritten Anschlag auf eine Checkpoint nahe der Stadt Scheikh Zuweid starben mindestens sechs Soldaten, bestätigte Ägyptens Verteidigungsministerium am Sonntag (erschienen in Junge Welt am 14.4.2015).
Die seit Jahren im Nord-Sinai operierende Extremistengruppe Ansar Beit Al-Maqdis, die sich im Herbst 2014 in „Staat des Sinai“ umbenannte und sich offiziell dem Islamischen Staat in Syrien und im Irak (IS) anschloss, bekannte sich zu zwei der drei Attacken und kündigte weitere Operationen gegen den Sicherheitsapparat im Land an. Erst am Freitag hatte die Gruppe ein Video im Internet veröffentlicht, dass die Exekution eines 20 jährigen Soldaten zeigt, den die Miliz am 3. April bei dem Angriff auf einen Armeecheckpoint entführt hatte.
Trotz der im Sommer 2013 lancierten massiven Militäroffensive gegen die Extremistengruppe in der Region Al-Arish bekommt Ägypten die außer Kontrolle geratene Sicherheitslage im Sinai nicht in den Griff. Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi präsentiert sich zwar weiterhin als Bollwerk gegen islamistischen Terror und scharfen Widersacher der im Juli 2013 entmachteten Muslimbruderschaft, doch ist die Sicherheitslage im Sinai und im Rest des Landes erst unter seiner Führung derart fragil geworden. Seit der Entmachtung der Muslimbrüder und dem Sturz von Ägyptens Expräsident Mohamed Mursi haben gewaltbereite islamistische Gruppen ihre Aktivitäten im Land massiv verstärkt. Bombenanschläge in Kairo und im Nildelta sind seitdem Normalität in Ägypten. Die staatlich geführte Verfolgungswelle gegen die Führungsriege der Bruderschaft hat die einflussreiche und zahlenmäßig größte Oppositionsgruppe im Land gespalten und radikalen Kräften innerhalb der Organisation Auftrieb verliehen. Die Nachwuchsgeneration ist seither führungslos, viele junge Anhänger der Bruderschaft haben sich auch aufgrund des brutalen Vorgehens des alten Regimes gegen die islamistische Opposition im Land stark radikalisiert. Der pragmatische, machtpolitisch orientierte und durchaus kompromissbereite Flügel der heute hinter Gittern sitzenden Führungsriege der Bruderschaft ist marginalisiert, eine Annäherung zwischen Bruderschaft und dem Regime dadurch in weite Ferne gerückt.
Während Al-Sisi, einem Strippenzieher hinter Mursis Absetzung, damals von weiten Teilen der Bevölkerung für die Entmachtung der Muslimbrüder gefeiert und von der US-amerikanischen Tageszeitung Wall Street Journal gar als „Geschenk des Himmels“ bezeichnet wurde, hat mit seinem radikalen Vorgehen gegen die gemäßigten Islamisten vielmehr Öl ins bereits lodernde Feuer gegossen. Die US-Tageszeitung Washington Post bezeichnete Al-Sisi Anfang April demnach nicht ganz unpassend als „geopolitische Zeitbombe“.
Derweil setzt auch Ägyptens Justiz ihren Feldzug gegen die Bruderschaft fort. Der Strafgerichtshof in Gizeh bestätigte am Samstag die Todesstrafen gegen den Chef der Bruderschaft Mohamed Badie und 13 andere Angeklagte und verurteilte 37 Menschen zu lebenslanger Haft. Den Angeklagten wird vorgeworfen für die Organisation der zwei Protestcamps der Bruderschaft, die im August 2014 von Sicherheitskräften gewaltsam aufgelöst wurden, verantwortlich gewesen zu sein. Bei der Stürmung der Camps durch Einheiten der Polizei waren damals rund 1000 Menschen getötet worden.
© Sofian Philip Naceur 2015