Presse- und Meinungsfreiheit gehören zu den wichtigsten Errungenschaften der ägyptischen Revolution von 2011. Pluralistische Berichterstattung und kontroverse Debatten fanden nicht nur auf den Straßen, sondern auch in Ägyptens Privatpresse statt. Doch seit der gewaltsamen Absetzung von Expräsident Mohamed Mursi und der Entmachtung der gemäßigt islamistischen Muslimbruderschaft durch die ägyptische Militärführung im Sommer 2013 war es damit vorerst vorbei. Der Staatsrundfunk, das zentrale Propagandainstrument des alten Regimes, hetzt heute wie schon unter der Regentschaft des im Februar 2011 gestürzten Langzeitdiktators Hosni Mubarak konsequent gegen jedwede Form von Opposition und auch Ägyptens Privatmedien sind weitgehend auf Regierungslinie eingeschwenkt. Wenige Zeitungen und Printmedien machen durch regierungskritische Berichterstattung von sich reden, während Kritik an der Politik des Regimes von Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi in der ägyptischen Fernsehlandschaft praktisch nicht vorkommt. Meinungsvielfalt findet sich heute nur noch im Internet und auch hier ist die öffentliche Meinungsäußerung inzwischen für viele Menschen riskant geworden, schließlich geht das Innenministerium in Kairo mittlerweile verstärkt mit strafrechtlichen Mitteln gegen Regimekritik in Onlinemedien und sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter vor (erschienen in Junge Welt am 16.4.2015).
Dennoch stellte die Nahost-Abteilung der Deutschen Welle (DW), die mit DW Arabia ein eigenes arabischsprachiges Programm produziert und weltweit via Satellit ausstrahlt, letzte Woche ein neues Kooperationsprojekt mit dem ägyptischen Fernsehsender ON TV vor. Die Gemeinschaftsproduktion „Frauen am Wendepunkt“ von DW Arabia und ON TV soll am 2. Mai 2015 mit einer 30minütigen Pilotsendung an den Start gehen und fortan von beiden TV-Kanälen einmal wöchentlich ausgestrahlt werden. Moderiert werden soll das neue Format von der ägyptischen Journalistin Reem Maged, die viele Jahre für ON TV und den ägyptischen Fernsehkanal Nile TV als Reporterin, Moderatorin und Redakteurin arbeitete und nun ihre Rückkehr auf den Bildschirm ankündigte. Die Sendung will Frauen eine Stimme geben und sich auf für Frauen wichtige Themen in der ägyptischen Gesellschaft konzentrieren.
Wenngleich auch ON TV seit dem Sommer 2013 betont regierungsfreundlich berichtet, geht der Direktor der Nahost-Abteilung der Deutschen Welle Dr. Naser Schruf dennoch von einem Erfolg des neuen Projektes aus. „Mit regierungsnahen Medien hat man es überall in der arabischen Welt zu tun, aber ob ein TV-Kanal regierungsnah ist oder nicht ist nicht der zentrale Aspekt für uns. Die zentrale Frage für uns ist: inwieweit kann ich unsere Vorstellungen von Journalismus über diese Kooperation vermitteln“, sagt Schruf gegenüber jW. „Wir sind der Meinung, dass wir mit Reem Maged sehr gut zusammenarbeiten können, da sie genau die Werte und die Form von Journalismus vertritt, die uns auch wichtig sind.“ Die Kooperation mit ON TV gebe der DW die Freiheit in Ägypten bestimmte Themen kritisch zu betrachten, und zwar durch die Brille der Frauen im Land. „Damit können wir auch über kritische Themen sprechen“, betont Schruf. „Als deutscher Fernsehsender wollen wir bestimmten Schichten der Gesellschaft eine Stimme geben und das wird mit dem Sendekonzept und vor allem mit Reem Maged als Moderatorin funktionieren“, ist sich Schruf sicher.
Trotz des vielversprechenden Konzeptes von „Frauen am Wendepunkt“ bleibt vorerst abzuwarten, wie sehr die regierungsfreundliche Linie von ON TV mit den ambitionierten Erwartungen der DW hinsichtlich des neuen Gemeinschaftsprogramms zusammen passen. Im Gegensatz zu ON TV verfolgen die Deutsche Welle und ihr arabischsprachiger Ableger schließlich eine durchaus kritische Linie gegenüber Ägyptens Regierung und deren provokanter Politik. Zudem zog sich erst vergangenes Jahr der ägyptische Sender Hayat TV aus einem ähnlichen Kooperationsprogramm mit dem arabischsprachigen Ableger der Deutschen Welle zurück. Offiziell aus finanziellen Gründen, hieß es damals. Die wöchentliche Sendung „Shabab Talk“ (Arabisch für Jugendgespräch) wurde abwechselnd von Hayat TV und DW Arabia in Kairo und Berlin produziert und auf beiden Kanälen ausgestrahlt. „Es hat Hayat nicht gut gefallen, dass wir nicht nur eine Stimme präsentieren wollten, sondern auch Stimmen zu Wort kommen lassen wollten, die der Regierung Ägyptens nicht gefallen hätten“, sagt Schruf. „Schließlich ist es nicht unsere Vorstellung von Journalismus nur eine Stimme oder eine Partei zu Wort kommen zu lassen.“ Zwar habe Hayat TV finanzielle Gründe für das Ende der Kooperation genannt, doch Schruf vermutet politische Gründe für die Einstellung des erfolgreichen Projektes. Heute wird die von Jaafar Abdul Karim moderierte Sendung „Shabab Talk“ mit allein in Ägypten rund vier Millionen Zuschauern pro Sendung nur noch von der Deutschen Welle in Berlin produziert.
© Sofian Philip Naceur 2015