Libyens Regierung ist kollabiert, das von islamistischen Kräften dominierte neu gewählte Parlament faktisch arbeitsunfähig. Derweil nehmen grenzübergreifende Attacken libyscher Islamistengruppen auf Tunesien und Ägypten stark zu. Die unübersichtliche innenpolitische Lage in Libyen drei Jahre nach dem Sturz Muammar al-Gaddafis hat sicherheitspolitisch heftige Auswirkungen auf die gesamte Region. Politisch und militärisch wächst der Einfluss radikaler Islamisten im Wüstenstaat. Während sich Europäische Union, US-Regierung und NATO sicher nicht noch einmal militärisch in Libyen einmischen werden, wird eine Militärintervention Algeriens und Ägyptens im Nachbarland derzeit heiß diskutiert. Die Regierungen in Algier und Kairo weisen derartige Meldungen weiter entschieden zurück, doch ein militärisches Eingreifen Ägyptens und Algeriens in Libyen wird immer wahrscheinlicher, meinen Beobachter in Tunis. In den letzten Monaten hatten radikale libysche Islamisten ihren Aktionsradius über Libyens Grenzen hinaus ausgeweitet und bedrohen damit nicht nur die Lebensbedingungen der Menschen in Libyen und seinen Nachbarländern Tunesien, Ägypten und Algerien, sondern auch die sicherheitspolitischen Interessen Europas und der USA in ganz Nordafrika (in gekürzter Version erschienen in Junge Welt vom 14.8.2014).
Der in der ostlibyschen Region Benghazi einflussreiche General Khalifa Haftar, der schon vor Wochen damit begann im Kampf gegen den Einflussgewinn islamistischer Kräfte im Land zahlreiche Milizen hinter sich zu vereinen, sagte am Wochenende die Beteiligung arabischer Truppen im innenpolitischen Konflikt in Libyen sei „nicht länger unwahrscheinlich“. Ägyptens Präsident Abdelfattah al-Sisi dementierte zwar, dass Ägyptens Armee bereits in Libyen aktiv geworden sei, betonte jedoch die Aufgabe der ägyptischen Streitkräfte sei die „Verteidigung der nationalen Sicherheit“ – eine durchaus zweideutige Formulierung. Libysche Extremisten hatten sich schließlich erst kürzlich tief in ägyptischem Staatsgebiet bewaffnete Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften geliefert und Ägyptens Armee könnte bei der Jagd auf die Angreifer durchaus die Grenze überquert haben. Derweil schloss der algerische Premier Abdelmalek Sellal eine Militärintervention Algeriens im Nachbarland Libyen kategorisch aus und betonte, die einzige Lösung der Krise in Libyen sei die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit. Algier stünde dabei als Vermittler jederzeit zur Verfügung.
Derweil berichtet die algerische Tageszeitung el-Watan Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika sei bereit zusammen mit Ägypten einen „Krieg gegen die Djihadisten in der Region“ zu starten. In der Tat haben beide Länder zuletzt ihre Kooperation im Anti-Terror-Kampf stark ausgeweitet. Die Zusammenarbeit ist bislang vor allem geheimdienstlicher Natur. So sollen Angehörige des algerischen Geheimdienstes DRS in Ägypten vor Ort sein. Algeriens Militär und der DRS, das zentrale Repressionsorgan des Militärregimes in Algier, haben eine umfangreiche Expertise im Kampf gegen islamistische Gruppen vorzuweisen. Algeriens Bürgerkrieg in den 1990er Jahren war vordergründig ein Krieg zwischen dem Staatsapparat und radikalen Islamisten, doch hat Algeriens Regime aus machtpolitischen Gründen selbst mitgeholfen einige dieser Gruppen zu fördern. Bis heute legitimiert das Regime in Algier seine Herrschaft mit seinem Kampf gegen radikale Islamisten.
Sollten Algerien und Ägypten tatsächlich in Libyen militärisch eingreifen, ist jedoch keineswegs mit einer großangelegten Invasion zu rechnen. Dennoch wären selbst grenznahe Militäroperationen ägyptischer und algerischer Truppen auf libyschem Boden ein deutliches Zeichen für das vorläufige Scheitern des politischen Übergangs in Libyen und ein Symbol für eine verfehlte Sicherheitspolitik der Nato in der Region. Doch nach wir vor setzt der Westen primär auf seine altbekannte Strategie verbündete Regierungen hochzurüsten. Der Regierung in Tunis wurde jüngst seitens der USA die Lieferung von zwölf Militärhelikoptern bestätigt und Algerien wird weiterhin massiv von Deutschland mit Rüstungsgütern versorgt. Allein im Jahr 2014 liefern deutsche Unternehmen Waffen im Wert von über 850 Millionen Euro nach Algerien.
© Sofian Philip Naceur 2014