Ägypten hat eine neue Interimsregierung. Nach dem überraschenden Rücktritt des gesamten Kabinetts von Premierminister Hazem Al-Beblawi vergangenen Montag hatte Staatspräsident Adli Mansour Al-Beblawis Wohnungsbauminister Ibrahim Mehleb mit der Regierungsbildung beauftragt. Am Samstag wurde das neue Kabinett offiziell vereidigt. 20 Minister aus der Regierung Al-Beblawi bleiben auf ihren Posten, nur elf neue Namen finden im neuen Kabinett. Durch die Zusammenlegung einiger Ministerien ist die Regierung damit kleiner als ihre Vorgängerin. Verteidigungsminister und Armeechef Feldmarschall Abdel Fattah Al-Sisi bleibt überraschend auf seinem Posten. Beobachter hatten den Rücktritt der Regierung unter anderem mit Al-Sisis Ambitionen in Verbindung gebracht bei der anstehenden Präsidentschaftswahl zu kandidieren. Will Al-Sisi bei der Wahl antreten, muss er als Verteidigungsminister zurücktreten und seine Militäruniform ausziehen. Nach wir vor wird damit gerechnet, dass er in Kürze seine Kandidatur offiziell bekannt geben wird. Dennoch mehren sich Spekulationen er habe sich gegen eine Kandidatur entschieden und wolle statt dessen seine Position innerhalb der Militärhierarchie festigen. Erst letzte Woche hatte Übergangspräsident Mansour ein Dekret verabschiedet, dass dem Posten des Verteidigungsministers mehr Einfluss einräumt. Bislang war der Staatspräsident per Gesetz auch Vorsitzender des Obersten Militärrates (SCAF), der mächtigsten Institution am Nil. Mansours Dekret besagt, dass der Verteidigungsminister zukünftig dem SCAF vorsitzt, während dem Staatspräsidenten nur noch die Ernennung führender Posten der einzelnen Armeeeinheiten obliegt (erschienen in Junge Welt am 3.3.2014).
Mit der Vereidigung des neuen Kabinetts geht die politische Wechselstimmung am Nil unvermindert weiter. Die Regierung Mehleb ist bereits das sechste Kabinett seit dem Sturz von Ex-Staatspräsident Hosni Mubarak im Februar 2011. Während die Schlüsselministerien weitgehend unangetastet blieben, ist das neue Kabinett mehr denn je eine Regierung der alten Hosni Mubarak nahe stehenden Kräfte. Mehleb selbst war Mitglied in Mubaraks 2011 aufgelöster Nationaldemokratischer Partei (NDP) und saß für die NDP im Oberhaus des ägyptischen Parlamentes. Ebenso wie zahlreiche neue Köpfe in der Regierung gehört er der Geschäftselite des Landes an. Mehleb war Vorsitzender des größten ägyptischen Bauunternehmens Arab Contractors und zählt zu den Technokraten im Regierungsapparat. Während innerhalb der neuen Regierung die Fraktion um Mubarak nahe stehende Kader gestärkt aus der Kabinettsumbildung hervorging, wurden lagerübergreifend respektierte Figuren wie der vormalige Bildungsminister Hossam Eissa und Vize-Premierminister Ziaa Bahaa Al-Din aus der Exekutive gedrängt. Mit einer Ausnahme wurden alle Minister aus dem Lager der Nationalen Heilsfront (NSF), einem Bündnis liberaler und staatssozialistischer Parteien, aus der Regierung entfernt. Die Verfassungspartei Hala Shukrallahs kritisierte den Ausschluss der NSF aus der Regierung scharf und fordert neben weiteren liberalen und linken Parteien die Absetzung von Innenminister Mohamed Ibrahim. Die Personalie Ibrahim gilt in Ägypten als heftig umstritten, war er doch eine treibende Kraft hinter dem Sturz Mohamed Mursis 2013 und ist als Innenminister verantwortlich für die anhaltende Polizeigewalt am Nil.
Bei den Revolutionären Sozialisten heißt es die jüngste Regierungsumbildung sei eine Reaktion der Militärs auf die anhaltende Streikwelle im Land und habe den regierenden Generälen eine Möglichkeit eröffnet sich allzu liberal auftretender Regierungsmitglieder zu entledigen. Sowohl das sozialdemokratische als auch das staatssozialistische Lager seien aus der Exekutive entfernt worden. Der staatssozialistische Arbeitsminister Kamal Abu Eita, eine von der Regierung kooptierte Gallionsfigur der unabhängigen Gewerkschaften, ist im neuen Kabinett nicht mehr vertreten und muss als Bauernopfer für die misslungene Wirtschaftspolitik Al-Beblawis herhalten. Die neue Arbeitsministerin Nahed Al-Ashri, die schon unter Mubarak im Ministerium beschäftigt war und als Vermittlerin bei Arbeitskämpfen fungierte, wurde von gewerkschaftsnahen Kreise sogleich unter Beschuss genommen und für ihr Nähe zur Arbeitgeberseite kritisiert.
© Sofian Philip Naceur 2014