Die Bildung der Übergangsregierung in Ägypten ist abgeschlossen. Ägyptens Interimspräsident Adli Mansour vereidigt am Dienstag das neue 34köpfige Kabinett. Die Auswahl der Ministerinnen verspricht außenwirtschaftliche Kontinuität und eine Annäherung an den Westen. Die Ernennung von Wirtschaftsexperten und Vertretern aus der Privatwirtschaft soll ein Zeichen setzen für die Prioritäten der neuen Regierung und den Verhandlungen über einen Milliardenkredit mit dem Internationalen Währungsfond (IWF) neuen Schwung verleihen. Seit der Revolution 2011, die Ägyptens Präsident Hosni Mubarak stürzte, steckt das Land in einer Wirtschaftskrise, die die Muslimbrüder und ihr politischer Arm, die Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (FJP), mit Mohamed Mursi an der Staatsspitze nicht in den Griff bekommen haben (erschienen in Junge Welt vom 19.7.2013).
Premierminister Hazem Beblawi gilt als liberaler Wirtschaftsfachmann, Finanzminister Ahmed Galal arbeitete 18 Jahre für die Weltbank und die neuen Minister der Industrie-, Telekommunikations- und Wohnungsministerien kommen aus der Privatwirtschaft. Der neue Außenminister Nabil Fahmy war Ägyptens Botschafter in den USA. Mansour ernannte zudem Kamal Ganzouri als Wirtschaftsberater. Ganzouri war von 1996 bis 1999 Premierminister und eine Schlüsselfigur bei der Öffnung der ägyptischen Wirtschaft. Nach Mubaraks Sturz setzt ihn die Armee kurzzeitig als Regierungschef ein, auch unter Mursi war er als Berater an den Regierungsgeschäften beteiligt. Vier Minister der Regierung Mursi bleiben auf ihren Posten, unter anderem Verteidigungsminister Abdel Fattah Al-Sisi, der führende Kopf hinter der Absetzung Mursis. Al-Sisi wird zudem das Amt des stellvertretenden Premierministers ausüben und damit zusätzlichen Einfluss auf die Regierungsgeschäfte haben.
Während Salafisten und FJP nicht an der Regierung beteiligt sind, tummeln sich zahlreiche Vertreter des säkularen und wirtschaftsliberalen Lagers im neuen Kabinett. Neben Vertretern der Sozialdemokraten, der liberalen Wafd-Partei und der Verfassungspartei Mohamed El-Baradeis ernannte Mansour Kamal Abu Eita von der sozialistischen Karama-Partei zum Minister für Angestellte. Abu Eita ist Vorsitzender des Verbandes unabhängiger Gewerkschaften (EFITU), der seit 2011 durch unzähligen Streikaktionen das faktische staatliche Gewerkschaftsmonopol in Frage stellte. Die EFITU setzte sowohl die Militärregierung, die Ägypten von Mubaraks Sturz bis zu Mursis Amtsantritt regierte, als auch die Regierung Mursi kontinuierlich unter Druck und sorgte für den Einflussgewinn unabhängiger Gewerkschaften in Ägypten. Abu Eita sagte die Annahme des Ministerpostens könne für ihn schnell zum „politischen Selbstmord“ werden, droht doch durch seine Ernennung die Spaltung der Arbeiterschaft. Der staatlich kontrollierte Gewerkschaftsverband, unter Mubarak die faktische Einheitsgewerkschaft Ägyptens, protestierte gegen seine Berufung und fordert die Einsetzung eines eigenen Vertreters. Hinter Abu Eitas Ernennung scheint politisches Kalkül der Armee zu stecken, schließlich will diese verhindern, dass der wirtschaftlichen Stabilisierung des Landes nicht wieder eine Streikwelle der unabhängigen Gewerkschaften wie schon 2011 und 2012 in die Quere kommt. Abu Eitas Berufung ins neue Kabinett könnte in der Tat dafür sorgen, dass die EFITU zunächst abwartet bevor sie zu neuen Streiks aufruft.
Während die FJP Regierung und Premierminister als „illegitim“ bezeichnet, hagelt es auch von anderer Seite Kritik am neuen Kabinett. Oppositionsgruppen wie die Bewegung des 6. April kritisieren die Berufung von ehemaligen Kadern der Nationaldemokratischen Partei (NDP) Mubaraks. Zahlreiche Minister des neuen Kabinetts hatten bereits unter Mubarak Regierungsposten inne, waren NDP-Mitglieder oder verließen die Partei kurz vor seinem Sturz und wurden von der Armee in die Übergangsregierungen 2011 eingebunden. Mit diesen Personalien geht die Armee, die im Hintergrund die Fäden zieht, auf Nummer sicher und installierte ein ihr wohl gesonnenes Kabinett mit besten Kontakten zu westlichen Regierungen und alten Regimekadern.
© Sofian Philip Naceur 2013