Algerien – Journalisten im Visier

Die seit Dezember 2019 amtierende algerische Regierung, die im Grunde von der Militärführung des Landes kontrolliert wird, zieht im Umgang mit Protestbewegung, Opposition und regierungskritischer Presse abermals die Daumenschrauben an. Am Montag verurteilte das für seine politisch motivierten Urteile gegen Aktivisten bekannte Gericht Sidi M’Hamed in der Hauptstadt Algier den prominenten Journalisten Khaled Drareni zu drei Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe in Höhe von umgerechnet 330 Euro. Die bei dem erstinstanzlichen Prozess ebenso auf der Anklagebank sitzenden Aktivisten Samir Benlarbi und Slimane Hamitouche wurden zu je zwei Jahren verurteilt, haben davon aber nur vier Monate abzusitzen. Der Rest der Strafe für Benlarbi und Hamitouche wurde vom Gericht zu einer Bewährung ausgesetzt (erschienen in junge Welt am 12.8.2020).

Alle drei Aktivisten waren am 7. März in Algier bei einer Demonstration der Bürgerbewegung »Hirak« verhaftet worden. Benlarbi und Hamitouche kamen umgehend in Untersuchungshaft, doch wurden Anfang Juli bis zum Gerichtstermin vorläufig freigelassen. Drareni hingegen war damals nur verhört, aber nicht interniert worden. Erst am 29. März erließ das Gericht einen Haftbefehl gegen den 40jährigen Gründer und Chefredakteur der oppositionellen Internetzeitung Casbah Tribune. Seitdem sitzt er im Gefängnis.

Vorgeworfen wurden ihm und den zwei weiteren Angeklagten »Anstiftung zu einer unbewaffneten Versammlung« und »Gefährdung der nationalen Einheit«. Der Richter beschuldigte Drareni zudem, regierungskritische Informationen in »sozialen Netzwerken« verbreitet zu haben. Dieser wies die Anschuldigungen zurück und teilte mit, er habe nur seinen Job gemacht.

Aktivisten und Kollegen Drarenis hatten eigentlich mit einer milden Bewährungsstrafe oder gar einem Freispruch gerechnet. Entsprechend überrascht war Algeriens Opposition über das Urteil. Die Journalistengewerkschaft SNJ kommentierte in ihrer Stellungsnahme, die Hoffnung sei zu einem Alptraum geworden. Der Verband reagierte mit Unverständnis auf den Richterspruch und glaubt, das hohe Strafmaß gegen Drareni sei dem Umstand geschuldet, dass er als einziger der Angeklagten als Journalist tätig ist. Auch »Reporter ohne Grenzen« (RSF) kritisierte Drarenis Verurteilung, forderte seine unverzügliche Entlassung und stellte die Unabhängigkeit des Gerichtes in Frage. »Wir sind entsetzt über die willkürliche, absurde und extrem harte Natur dieser Strafe«, twitterte RSF-Generalsekretär Chris­tophe Deloire am Montag.

Drareni hat die regierungskritischen »Hirak«-Demonstrationen von Beginn an eng begleitet und umfassend berichtet. Die Bewegung war zwischen Februar 2019 und März 2020 allwöchentlich gegen Algeriens Staatsführung und für einen politischen Wandel auf die Straße gezogen. Auch nach dem durch die Massenproteste erzwungenen Rücktritt des damaligen Staatspräsidenten Abdel­aziz Bouteflika im April 2019, mobilisierten sie weiter gegen Regierung und Militär.

Erst der Ausbruch der Coronapandemie zwang die Bewegung, ihre Demonstrationen einzustellen. Das Regime um Präsident Abdelmadjid Tebboune und der Militärführung instrumentalisiert seither die Pandemie für politische Zwecke. Aufgrund der derzeitigen Situation ist es schwierig Demonstrationen durchzuführen und die vorübergehend ruhige Lage wird von ihr genutzt, um gegen die Opposition, Aktivisten und regierungskritische Presse vorzugehen. Drareni ist mittlerweile der dritte Journalist, der seit Juni zu einer Haftstrafe verurteilt wurde.

© Sofian Philip Naceur 2020

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