Algerischer Frühling?

Die Proteste in Algerien gegen eine fünfte Amtszeit des 81jährigen greisen Staatspräsidenten Abdelaziz Bouteflika reißen nicht ab. Nach den landesweiten Massendemonstrationen vom letzten Freitag zogen seither jeden Tag mehrere hundert bis zehntausend Menschen durch die Straßen des nordafrikanischen Landes und skandierten Parolen gegen die höchst umstrittene Kandidatur des gesundheitlich angeschlagenen Staatschefs bei der für den 18. April geplanten Präsidentschaftswahl. Auch für gestern wurde in sozialen Netzwerken zu landesweiten Großdemonstrationen aufgerufen. Mehrere Oppositionsparteien, Aktivisten und NGOs, die sich letzte Woche noch mit Protestaufrufen zurückgehalten hatten, riefen diesmal explizit dazu auf, sich den Demonstrationen anzuschließen (erschienen in junge Welt am 2.3.2019).

Die Innenstadt von Algier glich bereits am Vormittag einem Hochsicherheitstrakt. Einsatzkräfte der Polizei und Beamte in zivil waren an Hauptstraßen und größeren Plätzen wie der Grande Poste und dem Platz des 1. Mai postiert, Polizisten patrouillierten durch die engen Gassen des Stadtzentrums. Die anfängliche Euphorie über die überraschend starke Mobilisierung der Bevölkerung auf den Straßen am vergangenen Wochenende weicht derweil bereits einer angespannten Stimmung. Denn diesmal ist das Regime vorgewarnt. Am Vorabend der gestrigen Proteste drehten sich die Gespräche in Cafés und Restaurants der Hauptstadt vor allem um die Frage, ob es diesmal zu ernsthafteren Ausschreitungen zwischen Sicherheitsapparat und Demonstranten kommen wird.

Letzten Freitag hatte sich die Polizei noch betont zurückgehalten und war erst in den Folgetagen mit angezogener Handbremse gegen kleinere Versammlungen oder Proteste vorgegangen. Schon am Sonntag hatte die semi-oppositionelle Parteienallianz Mouwatana, unter deren Dach sich ehemalige Regimepolitiker und heutige Gegner Bouteflikas wie Ali Benflis und Ahmed Benbitour vereinigt haben, einige hundert Menschen im Stadtzentrum von Algier mobilisiert. Ihre Kundgebung am Place Audin wurde jedoch zügig von Einsatzkräften der Polizei geräumt und mehrere Aktivisten vorläufig verhaftet.

Unter der Woche waren Studenten, Anwälte und Journalisten an der Reihe und mobilisierten in mehreren Städten und Provinzen des Landes. Schon am Dienstag versammelten sich zehntausende Menschen an zahlreichen Universitäten Algeriens, unter anderem in Algier, Oran, Tizi Ouzou und Adrar, und zogen anschießend lauthals und erneut betont friedlich durch die Straßen. Wie bereits am Freitag hielten sich die Sicherheitsbehörden weitgehend zurück und griffen nicht ein. Nur in der Hauptstadt Algier, in der Demonstrationen seit 2001 nicht toleriert werden, feuerten Beamte in der Straße Didouche Mourad Tränengas in die Menge nachdem ein Protestzug bis in die Innenstadt vorgedrungen war.

In Tizi Ouzou und Annaba protestierten am Mittwoch die Anwälte. In Annaba wurden mindestens zwei an den Protesten teilnehmende Juristen vorläufig verhaftet, jedoch nach einigen Stunden auf der Polizeiwache wieder auf freien Fuß gelassen. Am Donnerstag versammelten sich einige Dutzend Journalisten im Stadtzentrum von Algier und protestierten gegen die wenig überraschende Nichtbeachtung der Proteste seitens der Staatspresse, in deren Reihen sich dabei bereits ebenfalls Widerstand gegen die Selbstzensur regt. Einige Journalisten wurden kurzweilig in Gewahrsam genommen, jedoch ebenso nach einigen Stunden wieder freigelassen.

Während die überraschend gut besuchten Proteste vom 22. Februar offenbar einen Stein ins Rollen gebracht haben, der nur noch schwierig wieder aufzuhalten sein dürfte, setzt die herrschende Elite bisher weiterhin auf eine wenig einsichtige Rhetorik. Premierminister Ahmed Ouyahia und Armeechef Ahmed Gaïd Salah hatten in den vergangenen Tagen mit warnenden Bemerkungen von sich Reden gemacht. Derweil mehren sich die Anzeichen, dass in bestimmten Teilen des Regimes bereits über Alternativen zu Bouteflika nachgedacht wird. Dessen Clan hält jedoch nach wie vor an der Kandidatur des seit 1999 amtierenden Staatschefs fest.

© Sofian Philip Naceur 2019

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