EU-Grenzabschottung in Nordafrika – Falsche Prioritäten

Die EU setzt im Rahmen ihrer Antimigrationspolitik in Nordafrika auf altbekannte Strategien. Im Fokus stehen dabei abermals die sogenannten „freiwilligen“ Rückführungen von in nordafrikanischen Staaten internierten Menschen in ihre Herkunftsländer, die sehr vage definierte Bekämpfung von Fluchtursachen und der Ausbau des Grenzkontrollregimes. Das geht aus einem bisher unveröffentlichten internen Arbeitspapier der EU hervor, das jW vorliegt (erschienen in junge Welt am 28.11.2017).

In dem Dokument wird der Finanzierungsbedarf für entsprechende EU-Projekte im Rahmen des EU-Treuhandfonds für Afrika für das Jahr 2018 abgesteckt. Der umstrittene Hilfsfonds wurde nach dem EU-Gipfel 2015 in Valletta aufgelegt und ist mittlerweile mit 3,2 Milliarden Euro ausgestattet, die entwicklungspolitische Maßnahmen zur Eindämmung der „irregulären“ Migration finanzieren sollen.

Das Papier befasst sich mit der laufenden Projektplanung für die Region Nordafrika und gibt einen Finanzbedarf für Maßnahmen in den Projektländern Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten in Höhe von insgesamt 320 Millionen Euro an. Algerien sträubt sich zwar weiterhin sich in der EU-Migrationspolitik vor Brüssels Karren spannen zu lassen, doch angesichts der zunehmenden xenophoben Stimmungsmache gegen Einwanderer im Land und der anhaltenden Wirtschaftskrise scheint es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die Regierung in Algier formal enger mit der EU in Migrationsfragen kooperieren wird.

Rund die Hälfte der veranschlagten Mittel sollen über Regionalprogramme ausgeschüttet werden, die andere Hälfte über bilaterale Abmachungen. An der Spitze steht das Bürgerkriegsland Libyen mit Maßnahmen in Höhe von 55 Millionen Euro. Während dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR für die Betreuung Schutzbedürftiger 15 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden sollen, wird ein Grenz- und Migrationsmanagementprojekt von Italiens Innenministerium mit 35 Millionen Euro aufgeführt. Zusätzlich stellt das Dokument einen unmittelbaren Finanzbedarf für Maßnahmen in Libyen in Höhe von 110 Millionen Euro fest.

Zu den Prioritäten der Maßnahmen in Nordafrika zählen die Bekämpfung von Schleusern an Libyens Grenzen, der Schutz von Kindern, die Unterstützung freiwilliger Rückkehrer und ihrer Reintegration in ihren Herkunftsländern durch die Internationale Organisation für Migration (IOM) sowie die Stabilisierung von Aufnahmegemeinden. Brüssel erhofft sich davon die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten, die „Förderung eines robusteren Entwicklungspfades und die Verbesserung der Wiederstandfähigkeit von Migranten und der lokalen Bevölkerung“ mit dem Ziel, irreguläre Migrationsströme aus der Region zu verringern. Gemeint ist damit die 2017 angestiegene Migration von Menschen aus Tunesien, Algerien und Marokko nach Europa.

Wie schon bei der Zuwendungsgewichtung für 2016 und 2017, wird dem IOM auch für 2018 eine tragende Rolle zugeschrieben. Abermals wird hier die eklatante Diskrepanz zwischen der Förderung des Flüchtlingsschutzes einerseits und Grenzabschottungsmaßnahmen andererseits deutlich. Denn während das IOM und sogenannte Grenz- und Migrationsmanagementprojekte – also Maßnahmen europäischer Innenbehörden zur Professionalisierung und Verschärfung des Grenzschutzes durch Partnerstaaten in Nordafrika – prioritär behandelt werden, müssen sich die chronisch unterbesetzten und unterfinanzierten UNHCR-Standorte in Nordafrika hinten anstellen. Nach heutigem Stand muss ein Asylbewerber in Ägypten rund 18 Monate auf einen Termin für ein Interview beim UNHCR zur Feststellung des Schutzanspruches warten. Freiwillige Rückkehr oder Abschiebung geht bedeutend schneller. Die Wirksamkeit laufender oder geplanter Entwicklungsprojekte oder Maßnahmen zur Beschäftigungsförderung im Hinblick auf eine anvisierte Eindämmung irregulärer Migration darf derweil weiterhin stark bezweifelt werden, denn solange afrikanische Länder mit subventionierten EU-Waren überschwemmt werden, bleibt eine prosperierende Wirtschaftsentwicklung vor Ort illusionär.

© Sofian Philip Naceur 2017

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