Festung Europa – Gemeinsames Handeln gegen Grenzregime

Die seit Jahren massiv vorangetriebene Auslagerung der EU-Grenzabschottung im Mittelmeerraum geht unvermindert weiter. Doch während das restriktive Grenzkontroll- und Abschottungsregime der EU immer weiter militarisiert und auf den afrikanischen Kontinent vorverlagert wird, bleiben die Ursachen für Migration und Flucht ebenso bestehen wie die katastrophalen Lebensbedingungen von Flüchtlingen und Migranten in Nordafrika. Zivile Rettungsmissionen im Mittelmeer werden kriminalisiert und diskreditiert, Abschiebeprozeduren vereinfacht und die 2017 im Vergleich zum Vorjahr massiv gesunkene Zahl der in Europa angekommener Menschen als Erfolg gefeiert (erschienen in junge Welt am 29.9.2017).

Zivilgesellschaftliche Akteure in Nordafrika und Europa widersetzen sich zwar der EU-Politik im Mittelmeerraum, sind jedoch schlecht vernetzt und in die Defensive gedrängt. Eine von der Menschenrechtsorganisation Watch the Med Alarm Phone (AP) organisierte und vom Nordafrikabüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) unterstützte Konferenz am vergangenen Wochenende in Tunesien verspricht nun erste Schritte in Richtung einer stärkeren Vernetzung von Akteuren, die die Vorverlagerungsstrategie der EU-Grenzabschottung kritisieren.

Die erstmals ausgerichtete Konferenz mit dem Titel „Migrationsbewegungen rund ums Mittelmeer – Realitäten und Herausforderungen“ brachte am 22. und 23. September mehr als 300 Aktivisten, Wissenschaftler, Journalisten, Vertreter von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen sowie Flüchtlinge und Migranten, die aus erster Hand von ihren Erfahrungen berichten konnten, in Tunis zusammen. Neben Mitarbeitern des EU-Parlaments und Aktivisten von Sea Watch oder Amnesty International, saßen auch Vertreter zahlreicher nordafrikanischer Menschenrechtsgruppen und Fluchterfahrene aus Europa, Nord- und Westafrika auf dem Podium.

Sowohl AP als auch die RLS wollten mit der Veranstaltung sensibilisieren, informieren, einen Raum für Diskussionen schaffen und vor allem die Netzwerkarbeit stärken. „Es gibt unzählige zivilgesellschaftliche Akteure in Tunesien, die sich mit Migration beschäftigen, aber wir arbeiten nicht zusammen“, so Azza Falfoul vom AP-Ableger in Tunesien, der sich im Zuge der Konferenz offiziell konstituierte. „Für uns war diese Konferenz eine Gelegenheit, so viele Akteure wie möglich zusammenzubringen, wichtige Fragen aufzuwerfen und an Lösungen zu arbeiten“, erzählt sie.

Auch die Lage in Tunesien selbst war Gegenstand der Debatten, denn das Land sei nicht nur ein Abfahrtsort, sondern auch ein Aufnahme- und Transitland, sagt Falfoul. „Viele Menschen kommen hierher, aber sie haben keine Rechte und keinen Zugang zu Gesundheitsleistungen oder Arbeit“, berichtet sie. Einen adäquaten gesetzlichen Rahmen gäbe es nicht. Entsprechend enttäuscht zeigte sich AP über die Abwesenheit tunesischer Politiker, die eingeladen wurden, der Konferenz jedoch fernblieben. Die weitgehende Abwesenheit von Regierungsvertretern war das wohl größte Manko der Konferenz, denn die Vernetzung zivilgesellschaftlicher Akteure allein dürfte nicht reichen, um dem restriktiven Umgang mit Migration und Flucht im Mittelmeerraum seitens Europas und Nordafrikas Regierungen ein wirkungsvolles Narrativ entgegenzusetzen.

Organisationen und Aktivisten, die sich für die Belange Geflüchteter einsetzen, stehen schließlich nicht nur in Europa massiv unter Beschuss. „Immer und immer wieder versuchen wir zu erklären, dass wir nicht zur sogenannten „illegalen Migration“ ermutigen“, so Falfoul. Ihr Organisation fordert zwar Bewegungsfreiheit und sichere Durchfahrt im Mittelmeer, bietet aber lediglich eine Telefonhotline für Menschen in Notlagen an und gibt die Informationen von in Seenot geratener Boote an nordafrikanische und europäische Behörden weiter. „Wir retten nicht, wir versuchen Menschen in Not zu helfen“, so Falfoul. „Migration wird mit oder ohne uns passieren. Dieses Phänomen wird sich nicht in Luft auflösen und alles was wir versuchen ist zu verhindern, dass Menschen sterben.“

© Sofian Philip Naceur 2017

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