Kairos Retourkutsche

Der in der deutschen Presse wenig beachtete Tod des 22jährigen Ägypters Mohammed Abdel Fattah Al-Naggar im Juni in einem Essener Krankenhaus hat das Außenministerium in Kairo veranlasst, schwere Vorwürfe gegen die deutschen Behörden zu erheben. Die ägyptische Regierung nutzt dabei den Fall für einen Seitenhieb gegen Berlin. Al-Naggar habe am 16. Juni in der Justizvollzugsanstalt Essen versucht, sich mit einem Gürtel zu erhängen, und erlag eine Woche später seinen Verletzungen, berichtete Bild. Der Vater des Verstorbenen wird derweil in der ägyptischen Presse mit der Anschuldigung zitiert, Naggar sei in dem Gefängnis zu Tode gefoltert worden. Ein Vorwurf, den das Regime in Kairo geschickt zu instrumentalisieren weiß (erschienen in junge Welt am 5.8.2016).

In einer Stellungnahme am Dienstag beanstandete das ägyptische Außenministerium, der Leichnam Al-Naggars sei eingeäschert worden, bevor man Gelegenheit gehabt habe, die Todesumstände genauer zu untersuchen. Die deutschen Behörden hätten die ägyptische Botschaft von dem Todesfall unterrichten müssen; dann hätte diese auch darauf geachtet, dass bei der Beisetzung die islamischen Regeln eingehalten werden, die eine Erdbestattung vorschreiben. Deutschland führt an, dass Al-Naggar verfügt habe, ägyptische Stellen nicht einzuschalten und in Deutschland beerdigt zu werden.

Der Vorfall hat zwar kaum das Potential, die deutsch-ägyptischen Beziehungen nachhaltig zu stören, zeigt aber, wie sich unter Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi die Rhetorik gegenüber »Partnerländern« verändert hat. Kairo tritt außenpolitisch deutlich selbstbewusster auf, mit dem Ziel, auf dem internationalen Parkett ernst genommen zu werden. Einmischungen in innere Angelegenheiten werden zunehmend aggressiv zurückgewiesen oder wie im Fall Al-Naggar mit außenpolitischen Gegenangriffen beantwortet. Diese werden vor allem seit dem Mord an dem italienischen Doktoranden Giulio Regeni lanciert. Die Leiche des Studenten, die Folterspuren aufwies, war im Februar dieses Jahres in einem Straßengraben außerhalb Kairos aufgefunden worden.

Beobachter beschuldigen die Geheimdienste, für den Tod von Regeni verantwortlich zu sein. Die italienische Regierung und das Europaparlament forderten Kairo seitdem immer wieder auf, den Fall aufzuklären. Doch Ägyptens Behörden dementieren jede staatliche Verwicklung, gleichzeitig zeigen sie sich seither an den Lebensumständen der eigenen Staatsbürger in Europa interessiert. Nicht nur im Fall Al-Naggar, auch von Rom und London verlangte Kairo jüngst, zum Ableben je eines Ägypters Stellung zu nehmen.

So berechtigt dies sein mag, die Vorstöße haben den bitteren Beigeschmack einer Retourkutsche. Schließlich ist die schlechte Lage der Menschenrechte in Ägypten vor allem dem Verhalten von Polizei und Armee geschuldet. Während sich Kairo öffentlich für die Hintergründe des Todes ägyptischer Bürger im Ausland interessiert, gehen die Einsatzkräfte daheim brutal gegen die eigene Bevölkerung vor. Todesfälle im Polizeigewahrsam, Folter in den Gefängnissen oder zivile Opfer im »Antiterrorkampf« im Nordsinai gehören zum Alltag in Ägypten.

Kairo ist sich der eigenen geopolitischen Bedeutung durchaus bewusst und spielt diese Karte geschickt aus, um sich Gehör zu verschaffen. So ließ sich Ägypten in den UN-Sicherheitsrat wählen. Außerdem ist das Land am Nil auch im Konflikt in Libyen aktiv.

Sowohl für den Westen als auch für Saudi-Arabien und Russland ist das Regime in Kairo ein wichtiger Partner. Das Argument, ein Bollwerk gegen den islamistischen Terror sowohl im eigenen Land wie auch in Libyen zu sein, wird dazu genutzt, die sicherheitspolitischen Abhängigkeiten zu diversifizieren und sich außenpolitische Freiräume zu verschaffen.

Rüstungsgüter bezieht Kairo heute nicht mehr nur aus den USA, sondern auch aus Frankreich und Russland. Die EU wiederum ist auf eine Kooperation mit Kairo angewiesen, will sie an der eigenen repressiven Migrationspolitik festhalten. Die Leidtragenden dieses außenpolitischen Pokers sind die Ägypter. Ihr Alltag ist nicht nur von Korruption und Amtsmissbrauch geprägt, ihnen werden von den herrschenden Militärs die Bürgerrechte vorenthalten.

© Sofian Philip Naceur 2016

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.