Die Armee als „Lokomotive der Entwicklung“

Interview mit dem Wirtschaftsanalysten Dr. Amr Adly vom Carnegie Middle East Center in Beirut (erschienen in Junge Welt am 8.8.2015).

Wie realistisch und plausibel sind die Angaben, die Ägyptens Regierung zum Ausbau des Suezkanals macht?

Amr Adly: Das Problem ist, dass es keinerlei Informationen unabhängiger Quellen darüber gibt, ob die vor einem Jahr von Ägyptens Finanzministerium veröffentlichten Zahlen akkurat sind oder nicht. Diese besagen, dass die Regierung bis 2023 mit einer Steigerung der Kanaleinnahmen in Höhe von 259 Prozent rechnet. Es geht jedoch nicht nur um die Ausweitung der den Kanal passierenden Schiffe, sondern auch um Faktoren wie die Wachstumsraten des internationalen Handels. Der Suezkanal hat definitiv das Potential seine Einnahmen zu steigern. Allein im letzten Jahrzehnt haben sich dessen Einkünfte nahezu verdoppelt. Dennoch, der Mangel an unabhängigen Informationen und Studien machen Vorhersagen dazu schwierig. Auch setzt die Regierung stark auf politische Propaganda. Die Opposition macht das ebenso. Und das ist in Bezug auf die am Ufer des Kanals geplante Sonderwirtschaftszone sogar noch stärker der Fall. Zu diesem Projekt hat die Öffentlichkeit absolut keinen Zugang zu Informationen. Und das ist typisch für Regierung und Bürokratieapparat.

Al-Sisi erhofft sich vom Kanal Impulse für die Wirtschaft. Was ist so besonders an dem Projekt?

Adly: Der neue Kanal ist qualitativ nichts neues, derlei Erweiterungen wurden bereits in der Vergangenheit durchgeführt. Der Ausbau heute hat lediglich einen größeren Maßstab. Die Sonderwirtschaftszone am Kanal hingegen ist qualitativ etwas neues, da ein solchen Projekt noch nie umgesetzt wurde. Doch auch dies ist nichts anders als eine Fortsetzung dessen, was bereits unter Expräsident Hosni Mubarak begonnen wurde. Viel wichtiger hingegen ist, dass der Suezkanal ein nationales Symbol und Sinnbild der Integration Ägyptens in den Welthandel darstellen soll. Der Kanal ist ein Symbol für die Bedeutung Ägypten für den Welthandel.

Warum setzt die Regierung auf derart starke propagandistische Rhetorik?

Adly: Das Regime muss der Öffentlichkeit dringend beweisen, dass es in der Lage ist zu handeln. Es versucht vor allem zu zeigen, dass es im Vergleich zu der von ihm im Juli 2013 gestürzten Muslimbruderschaft, aber auch im Vergleich zu Mubarak, in der Lage ist Projekte umzusetzen. Das Regime will den Eindruck vermitteln es sei weniger korrupt als Mubarak, effektiver als Mubarak und technologisch fortschrittlicher als Mubarak. Dieses Element war auch wichtig für die Verstaatlichung des Kanals 1956 durch den damaligen Präsidenten Gamal Abdel Nasser. Nasser setzte auf Legitimität durch Errungenschaften. Er war in der Lage anzupacken. Diese Form von Legitimität ist seither konstituierend für jedwede Form politischer Legitimität in Ägypten.

Der Ausbau ist überraschend schnell fertig gestellt worden. Welche Rolle spielt die Armee bei dem Projekt?

Adly: Das Militär hat die Kapazität Infrastrukturprojekte schnell umzusetzen. Es hat bewiesen, dass es dazu in der Lage ist. Dies ist politisch sehr wichtig, zeigt es doch, dass sich die Armee Ägypten verpflichtet fühlt. Sie beweist damit dem eigenen Volk und der internationalen Gemeinschaft, dass sie Versprechen einhalten kann. Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass die politische Bedeutung des Projektes vom Regime derart übertrieben dargestellt wird. Der Kanal steht stellvertretend dafür, dass das Militär Dinge in die Hand nehmen und umsetzen kann. Ägypten mangelt es jedoch an einer gesamtgesellschaftlich orientierten Wirtschaftspolitik. Was wir haben ist eine Ansammlung von Infrastrukturprojekten wie dem Kanal oder dem 2013 lancierten Programm zur Errichtung von einer Million Wohnungen. Letztes scheint tot zu sein. Alles was die Öffentlichkeit darüber weiß ist, dass mit der verantwortlichen Firma verhandelt wird. Die Armee jedoch versteht sich als „Lokomotive der Entwicklung“, so die Inschrift an einer von der Armee errichteten Brücke in Kairo, regiert jedoch heute faktisch alleine und ist entsprechend gezwungen Erfolge vorzuweisen.

© Sofian Philip Naceur 2015

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.