Ägyptens „Geschenk an die Welt“

Im Sommer 2014 verkündete Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi feierlich den Bau eines neuen Suez-Kanals, der parallel zu der 146 Jahre alten strategisch unersetzlichen Transportroute zwischen Rotem Meer und Mittelmeer verlaufen soll. Heute, genau ein Jahr nach Beginn der Bauarbeiten in der Kanalzone zwischen der Stadt Suez östlich von Kairo und dem Mittelmeerhafen Port Said steht der „Jahrhundertbau“ kurz vor dem Abschluss. Ursprünglich sollte die Errichtung einer zweiten Fahrrinne, die es erlaubt den Kanal in beide Richtungen gleichzeitig zu befahren, drei Jahre andauern. Doch Al-Sisi, angetrieben von einer am Boden liegenden Wirtschaft und keinerlei Aussichten auf deren rasche Genesung, forderte die Fertigstellung des Kanalausbaus in nur einem Jahr. Was damals niemand für realistisch hielt, ist heute zum Greifen nahe (erschienen in Junge Welt am 4.8.2015).

Bereits letzte Woche absolvierten drei Containerschiffe einen erfolgreichen Testlauf im neuen Kanalbett. Regierung und regimenahe Kräfte am Nil werden seither nicht müde den erweiterten Kanal als Heilsbringer für die wirtschaftlichen Probleme des Landes anzupreisen. Der Stolz der Nation sei restauriert, heißt es in Ägyptens regimenaher Presse immer wieder. Der Chef der für den Kanalbetrieb zuständigen staatseigenen und vom Militär kontrollierten Suez Canal Authority (SCA), Admiral Mohab Mamish, setzte den Testlauf pathetisch mit dem Überführen der Nation von der Dunkelheit ins Licht gleich. Im Rahmen einer Pressekonferenz vergangene Woche in Ismaelija, dem Sitz der SCA am Ufer des Kanals, bezeichnete Mamish den neuen Kanal als Ägyptens „Geschenk an die Welt“.

Am Donnerstag soll der neue Kanal in einer feierlichen Zeremonie offiziell eröffnet werden. Gebaut wurde eine neue 35 Kilometer lange parallel zum alten Kanal verlaufende Fahrrinne sowie zwei Bypässe, die die Wasserstraße zukünftig dauerhaft in beide Richtungen befahrbar machen sollen. Damit soll die Anzahl der täglich durch den Kanal fahrenden Schiffe verdoppelt und die Wartezeit an beiden Enden des Kanals von derzeit rund 18 auf nur noch 11 Stunden reduziert werden. Das Projekt hat eine Gesamtlänge von rund 72 Kilometern. Weiterhin soll das bestehende Kanalbett erweitert und vertieft werden, um größeren Schiffen die Durchfahrt zu ermöglichen. Ägyptens Regierung will mit dem Megaprojekt nicht nur die Einnahmen aus den Kanalgebühren bis 2023 von derzeit 5,3 Milliarden US-Dollar auf 13,2 Milliarden mehr als verdoppeln, sondern mit der am Kanalufer zu errichtenden Sonderwirtschaftszone eine Million Arbeitsplätze schaffen. Derlei Einkünfte hat Ägyptens Staatshaushalt auch dringend nötig, kann sich das Land doch seit Ausbruch der Revolution von 2011 nur durch umfangreiche Finanzhilfen aus den Golfstaaten über Wasser halten.

Peter Hinchliffe, Generalsekretär der International Chamber of Shipping (ICS), einer international tätigen Handelsschiffahrtsorganisation mit Sitz in London, betonte in Ismaelija, die Zeitspanne, in der das Projekt realisiert wurde sei „erstaunlich“. Mit dem Ausbau werde die Effizienz der Wasserstraße verbessert.

Auf rund 8 Milliarden US-Dollar bezifferte die SCA die Kosten für den Ausbau der Fahrrinne. Bemerkenswert am Finanzierungsplan der Zentralregierung in Kairo ist die völlige Abstinenz internationaler Investoren. Die nötigen Mittel wurden bereits im Sommer 2014 in Form von Staatsanleihen ausschließlich an ägyptische Staatsbürger ausgegeben und nach Angaben der Regierung in nur acht Tagen aufgebracht. Mit dem Ausbau des Suez-Kanals stellt Ägypten sicher, dass die Transportroute durch Ägypten nicht zugunsten des auch im Ausbau befindlichen Panama-Kanals an geostrategischer Bedeutung verliert. Der Suez-Kanal bleibt durch die Erweiterung und die Modernisierung auch weiterhin attraktiv für die internationale Handelsschiffahrt.

Was Ägypten mit dem Kanalausbau jedoch auf jeden Fall erreicht, egal ob die geo- und handelspolitische Bedeutung der Wasserstraße durch deren Erweiterung steigt oder lediglich stagniert, ist die Absicherung internationaler Abhängigkeiten. Der Westen, aber ebenso Russland und China, haben Interesse an einem reibungslos geölten maritimen Handelsweg durch den Suez-Kanal – und entsprechend guten Beziehungen zu Ägyptens Machthabern. Das Machtzentrum am Nil wiederum bleibt auch zwei Jahre dem gewaltsamen Sturz von Expräsident Mohamed Mursi unangefochten Ägyptens Armee, die das Projekt propagandistisch auszuschlachten weiß und sowohl die SCA als auch das gesamte Areal um den Kanal herum kontrolliert.

Sorgen über mögliche Attacken der im Nord-Sinai operierenden dem Islamischen Staat in Syrien und dem Irak nahe stehenden Extremisten auf den Kanal wischte Mamish letzte Woche rigoros beiseite, obwohl den Islamisten erst vor zwei Wochen ein Raketenangriff auf ein ägyptischen Kriegsschiff gelungen war. Trotz der politischen Instabilitäten während der Revolution 2011 als auch während der landesweiten gewaltsamen Turbulenzen Mitte 2013 sei der Kanalbetrieb „nicht eine Sekunde lang“ eingestellt worden, so Mamish.

© Sofian Philip Naceur 2015

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