Das neue Kooperationsprojekt der Deutschen Welle (DW) mit dem privaten ägyptischen TV-Sender ONTV ist nach nur zwei Folgen offenbar Opfer staatlicher Zensur in Ägypten geworden. Die von der bekannten und regimekritischen Journalistin Reem Maged moderierte Sendung „Women at a turning point“ wurde kurz vor der Ausstrahlung der dritten Folge am Freitag von ONTV aus dem Programm des Senders gestrichen. ONTV teilte mit die Show sei aufgrund anstehender Veränderungen des Programmschemas verschoben, jedoch nicht abgesetzt worden. ONTV-Chef Albert Shafiq sagte dem zur Nachrichtenagentur Reuters gehörenden Internetportal Aswat Masriya es werde noch darüber beraten, ob die Sendung vollständig abgesetzt oder nur einstweilig ausgesetzt werde. Angebliche Gründe für die überraschende einstweilige Einstellung der Sendung wollte er jedoch nicht kommentieren.
Die DW kündigte unterdessen an die Sendung weiterhin auf ihrem arabischsprachigen Programm DW Arabic ausstrahlen zu wollen. In einer überraschend aggressiven Pressemitteilung beschuldigt die DW ägyptische Sicherheitsbehörden ONTV unter Druck gesetzt zu haben die Sendung abzusetzen. „Die Deutsche Welle verurteilt die Intervention ägyptischer Behörden als massiven Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit. Der deutsche Auslandssender hat dem Partner ONTV seine Unterstützung zugesagt beim Bemühen, die Koproduktion und Ausstrahlung der Sendung für das arabische Publikum fortzusetzen“, heißt es dort.
Der Haupteigentümer von ONTV Naguib Sawiris sagte einer ägyptischen Zeitung er habe keinerlei Befehle erhalten die Sendung abzusetzen. Da der Sender jedoch in einer finanziellen Krise stecke und Mageds Show keine Werbeeinnahmen akquiriere, sei die Sendung gestoppt worden, so Sawiris. Maged reagierte auf die Stellungnahmen von ONTV und DW mit einem Kommentar auf ihrer Facebook-Seite und fragt dort durchaus berechtigt warum sich ONTV auf ein Kooperationsprogramm mit der DW geeinigt habe ohne dem Partner mitzuteilen, dass eine Veränderung des Programmschemas kurz bevorstehe. Es sei zudem fraglich warum der ägyptische Privatsender bereits für die dritte Folge ihrer Show geworben habe wenn eine Veränderung des Programmschemas bevorstünde. Der Sender hatte selbst in Ägyptens Straßen massiv Werbung für die neue Show machen und umfangreiche Plakatwerbung in der Kairoer Innenstadt aufhängen lassen. Noch am Sonntag hingen hunderte Werbeplakate für die Sendung mit Mageds Konterfei und dem Logo der DW auf der Oktober-Brücke, einer Hauptverkehrsachse im Herzen der ägyptischen Hauptstadt (erschienen in Junge Welt am ).
Maged fragt in ihrer Stellungnahme zudem warum ONTV die Pressemitteilung der Deutschen Welle weder korrigiert noch kommentiert habe wenn es sich bei den Gründen für Absetzung ihrer Show nur um logistische Veränderungen im Programmschema handele. Sie verwies darauf, dass die Internetseite von ONTV eine der ersten Nachrichtenquellen im Land gewesen sei , die berichtet habe, dass der Sender unter Druck gesetzt worden sei die Show abzusetzen. Der auf der Website von ONTV veröffentlichte Text, auf den sich Maged beruft, ist ein Artikel mit dem Titel „Reem Maged: „Ein Mädchen, dass einer Regierung Angst macht““, in dem eine anonyme Quelle im Sender bestätigt, dass ONTV von staatlichen Behörden und Sicherheitsstellen unter massiven Druck gesetzt wurden sei Mageds neue Show unverzüglich einzustellen.
Mageds Sendung wurde von beiden Fernsehkanälen erst im April auf einer Pressekonferenz in Kairo offiziell vorgestellt (jW hatte berichtet) und sollte fortan in Ägypten produziert und wöchentlich von beiden Sendern ausgestrahlt werden. Die Journalistin hatte bereits vor einigen Jahren eine Talk-Show auf ONTV moderiert und ist für ihre regimekritische Haltung in Ägypten bekannt. In der zweiten Folge ihrer neuen Sendung war die bekannte ägyptische Fotografin Iman Hilal zu Gast bei Maged und erzählte unter anderem von ihren Erfahrungen während der ägyptischen Revolution 2011 und ihrer Arbeit bei gewaltsamen Protesten im Land. Dabei wurden Bilder von der gewaltsamen Räumung der beiden Protestlager der islamistischen und im Juli 2013 vom Militär entmachteten Muslimbruderschaft im August 2013 durch Ägyptens Sicherheitsbehörden gezeigt, bei der hunderte Menschen getötet wurden. Die blutige Räumung der Protestcamps gilt als schwerstes Massaker in Ägyptens neuerer Geschichte.
Ägyptische Behörden hatten in den vergangenen Monaten vermehrt die Veröffentlichungen von Berichten über verschiedenste Themen, wie Folterpraktiken in Ägyptens Sicherheitsapparat, verboten und Zeitungen dazu gezwungen Artikel zu streichen oder umzuschreiben. Mehrfach wurden ganze Ausgaben von Tageszeitungen konfisziert und mussten neu gedruckt werden. Seit der Absetzung der Muslimbruderschaft im Sommer 2013 und der faktischen Machtübernahme des alten Regime unter Federführung der Armee ist die Presse- und Meinungsfreiheit im Land am Nil massiv unter Druck geraten.
© Sofian Philip Naceur 2015