Bei zwei Terroranschlägen im Norden von Ägyptens Sinai-Halbinsel wurden am Freitag mindestens 31 ägyptische Soldaten getötet und 30 weiter teils schwer verletzt. Eine Autobombe detonierte an einem Armeecheckpoint nahe der Kleinstadt Sheikh Zuweid und riss mindestens 28 Militärs mit in den Tod. Die heftige Explosion wurde durch die Entzündung eines armeeeigenes Waffendepot noch massiv verstärkt. Nur Stunden später griffen bewaffnete Extremisten einen weiteren Checkpoint nahe der Provinzhauptstadt Al Arish an der Mittelmeerküste an und töteten nach Militärangaben weitere drei Soldaten. Der Anschlag ist das schwerste Attentat auf staatliche Sicherheitskräfte seit Jahren. Staatspräsident Abdel Fattah El Sisi erklärte den Ausnahmezustand über den Norden des Sinai für die kommende drei Monate und verfügte eine Ausgangssperre von 17 bis 5 Uhr. In einer Fernsehansprache bezeichnete El Sisi die im Norden der Halbinsel operierenden militanten Gruppen als „existenzielle“ Bedrohung für Ägypten und sagte ohne weitere Details zu nennen, die jüngsten Anschläge seien aus dem Ausland unterstützt worden. El Sisi ordnete eine dreitägige Staatstrauer an. Staatspräsident und Regierung kündigten am Samstag eine Militäroffensive im Norden der Provinz an, um die Verantwortlichen für die Attentate zur Rechenschaft zu ziehen. Derweil bombardierte Ägyptens Armee bereits am Sonntag mehrere Ziele in der Region und tötete dabei nach Militärangaben mindestens fünf Verdächtige (erschienen in Junge Welt am 27.10.2014).
Der Norden der Sinai-Halbinsel gilt seit Jahren als Rückzugsgebiet militanter Islamisten. Nach dem Sturz des der Muslimbruderschaft angehörenden Staatspräsidenten Mohamed Mursi im Juli 2013 intensivierten sich die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen radikalen Islamisten und staatlichen Sicherheitskräften. Die islamistische im Nord-Sinai operierende Terrorgruppe Ansar Beit El Maqdis attackierte dabei dutzende Male Checkpoint der Armee oder Polizeistationen im Norden der seit Jahrzehnten von der Zentralregierung vernachlässigten Provinz. Zuvor hatte die Terrorgruppe ausschließlich das benachbarte Israel angegriffen, änderte jedoch nach Mursis Absetzung durch die Armee ihre Strategie und attackiert seither regelmäßig Ägyptens Sicherheitsapparat. Bisher hat sich niemand zu den jüngsten Anschlägen bekannt, Ansar Beit El Maqdis gilt jedoch als mutmaßlicher Kandidat für die Tat.
Zahlreiche ägyptische Parteien und Politiker verurteilten die Anschläge aufs Schärfste. Die Verfassungspartei von Mohamed El Baradei sicherte der Armee ihre volle Rückendeckung zu, forderte jedoch von Ägyptens Behörden mehr Transparenz bei den Operationen im Nord-Sinai. Bereits im Sommer 2012 hatte die Armee nach einem Anschlag auf einen ägyptischen Grenzposten ihre Aktivitäten in der Provinz massiv ausgeweitet, doch besitzt das Militär über die anhaltende und mehrfach ausgeweitete Offensive ein faktisches Nachrichtenmonopol. Journalisten wird nur in Ausnahmefällen der Zugang zu der Provinz gestattet. Auch das US-Außenministerium und die britische Regierung verurteilten den Anschlag und sicherten Kairo ihre volle Unterstützung zu. Vor wenigen Wochen gab Washington grünes Licht für die Lieferung von zehn Apache-Kampfhelikoptern, die der ägyptischen Armee bei ihren Anti-Terror-Operationen helfen sollen.
Nach Forderungen der liberalen Wafd-Partei und anderer politischer Kräfte am Nil diskutiert die Armeeführung derzeit eine Ausweitung der Pufferzone an der Grenze zu Israel. Damit könnte die Armee leichter Jagd auf Terrorgruppen machen und das Tunnelsystem, das zwischen Ägyptens Sinai-Halbinsel und dem Gaza-Streifen betrieben wird, weiter zerstören, heißt es aus Militär- und Regierungskreisen. Dazu sollen tausenden Einwohner umgesiedelt werden. Ob diese Strategie dem anhaltenden Terror auf dem Sinai ein Ende bereiten wird, bleibt fraglich. Schließlich ist das sicherheitspolitische Problem in der Provinz auch hausgemacht. Der Norden des Sinai gilt als gesetzloses Niemandsland, in dem jahrelang Waffen- und Drogenschmuggler sowie Menschenhändler vom Staat ungestört operieren konnten. Während Kairo über Jahrzehnte lang lediglich in den Touristengebieten im Süden und in der Kanalzone investierte, wurde der Norden der Provinz strukturell vernachlässigt.
>© Sofian Philip Naceur 2014