Ägypten läuft sich warm für die im April anstehende Präsidentschaftswahl. Das de facto in Kairo regierende Militär braucht eine neue demokratische Fassade, einen zivilen Staatschef, der Ägyptens Streitkräfte aus der Schusslinie nimmt. Kaum jemand im Land bezweifelt, dass Verteidigungsminister, Vizepremierminister und Armeechef Adel Fattah El-Sisi beim Urnengang antreten und diesen für sich entscheiden wird. Bisher jedoch hat er seine Kandidatur nicht offiziell bekannt gegeben. Sollte er antreten, muss er seine Uniform ausziehen und von seinem Posten als Armeechef zurücktreten. Unterdessen kündigten mehrere Parteien, Politiker und Jugendgruppen an eine Kandidatur El-Sisis unterstützen zu wollen. Bereits im Januar hatte der Oberste Militärrat, das höchste Gremium von Ägyptens Armee und faktisch eine Art Schattenregierung, grünes Licht für El-Sisi Bewerbung um das höchste Staatsamt gegeben und damit Spekulationen über seine Ambitionen neuen Auftrieb verliehen. Eine offizielle Bekanntgabe von El-Sisis Kandidatur wird Ende Februar erwartet (erschienen in Junge Welt am 17.2.2014).
Sisi verweilt derweil zusammen mit Ägyptens Außenminister Nabil Fahmi in Russland und ließ sich erstmals in ziviler Kleidung und nicht in Militäruniform öffentlich ablichten. Zweck der Reise ist die Unterzeichnung eines umfangreichen Waffendeals mit Moskau. Seit die USA im Sommer 2013 aufgrund der gewaltsamen Räumung der Protestcamps der Muslimbrüder in Kairo und Giza ihre Militärhilfe von rund 1.3 Millarden US-Dollar jährlich vorerst eingefroren, streckt Ägypten seine Fühler verstärkt nach Osten aus. Die Annäherung an Moskau steht symbolisch für El-Sisis Bemühungen sich ideologisch in die Nähe des noch heute extrem populären Ex-Präsidenten Ägyptens Gamal Abdel Nassers zu rücken. Nasser hatte zusammen mit den Freien Offizieren 1952 die Monarchie gestürzt und 1954 selber das Präsidentenamt übernommen. Er propagierte einen panarabischen Nationalismus staatssozialistischer Prägung. Seit seiner Amtszeit ist Ägyptens Armee aus dem politischen Machtzentrum am Nil nicht mehr wegzudenken. Während Nasser seine nationalistische Rhetorik und seinen diktatorischen Herrschaftsstil mit sozialistischen Ansätzen koppelte – er verstaatlichte den Suez-Kanal und wichtige Industriezweige und versuchte mit der Landreform die Armut in den Griff zu bekommen – , setzt El-Sisi bisher ausschließlich auf Nationalismus und die Glorifizierung der Armee. Bisher hat sich Sisi in keinerlei Weise konkret dazu geäußert wie die sozialen und wirtschaftlichen Probleme am Nil gelöst werden könnten. Die Verzögerung seiner offiziellen Kandidatur ist taktischer Natur. Bisher debattiert das Land lediglich darüber, ob er antreten wird oder nicht. Eine kritische Auseinandersetzung mit seinem politischen Programm oder seinen Fähigkeiten die Wirtschaft anzukurbeln findet schlichtweg nicht statt.
Der einzig ernstzunehmende Konkurrent El-Sisis um das Amt ist Hamdeen Sabahi, Gründer und Ex-Chef der nasseristischen Partei der Würde. Sabahi verpasste in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl 2012 nur knapp die Stichwahl und landete hinter Ahmed Shafik und Mohamed Mursi auf dem dritten Platz. Während zahlreiche politische Kräfte am Nil eine Kandidatur El-Sisis aktiv befürworten, drohen anderen aufgrund von Streitigkeiten um einen favorisierten Präsidentschaftskandidaten die Spaltung. Die Tamarud-Kampagne, die im Frühjahr 2013 mit einer Unterschriftensammlung für den Rücktritt Präsident Mursis dessen Sturz durch die Armee einleitete, schloss Anfang der Woche ihre Führungsmitglieder Mohamed Abdel Aziz und Hassan Shahin aus der Organisation aus, nachdem sie offiziell ihre Unterstützung für Sabahi bei den anstehenden Wahlen verkündet hatten. Auf einer Pressekonferenz am Dienstag gab Tamarud-Anführer Mahmoud Badr bekannt eine Partei gründen zu wollen. Eine Entscheidung werde kommenden Woche erwartet, sagt das Mitglied des Tamrud-Politbüros Mohamed Nabawy. Der Pro-Sisi-Flügel könnte sich als militärnahe politische Partei etablieren und dem Militär helfen die urbane Jugend der Ober- und Mittelschicht zu mobilisieren.
© Sofian Philip Naceur 2014