Europäische Abgeordnete fordern Freilassung politischer Gefangener in Ägypten

Trotz der systematischen Verletzung von Menschenrechten durch ägyptische Behörden setzen europäische Regierungen ihre Unterstützung für das autoritäre Regime des Landes unvermindert fort. Jetzt regt sich in Europas Parlamenten Widerstand gegen die repressive Politik des Militärregimes. In einem am Mittwoch veröffentlichen Brief an Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi fordern 222 Parlamentarier diesen eindringlich dazu auf, im Land inhaftierte politische Gefangene »unverzüglich freizulassen« (erschienen in junge Welt am 22.10.2020).

Unterzeichnet wurde der Brief von Abgeordneten des EU-Parlaments sowie sieben nationaler Parlamente europäischer Staaten, darunter die der BRD, Frankreich, Italien und der Schweiz. Im Bundestag wird die ­Initiative vor allem von Abgeordneten der Grünen unterstützt. Auch Vertreter der Fraktionen von Die Linke, der SPD und der FDP unterzeichneten den Brief, in dem Al-Sisi aufgefordert wird, angesichts der Covid-19-Pandemie »Menschenrechten der Gefangenen Vorrang einzuräumen«.

»Die fortgesetzte Inhaftierung von politischen Gefangenen untergräbt nicht nur unsere gemeinsamen Interessen, sondern auch das Fundament unserer gemeinsamen Beziehungen«, heißt es in dem Schreiben. Ägyptens Präsident wird ferner dazu aufgerufen, das von den Behörden des Landes systematisch gegen Regimekritiker benutzte Instrument der Untersuchungshaft »auf ein absolut notwendiges Mindestmaß zu beschränken«.

Seit Al-Sisis gewaltsamer Machtübernahme 2013 gehen ägyptische Polizei-, Geheimdienst- und Justizbehörden systematisch gegen Oppositionelle, Anwälte, Gewerkschafter und Journalisten vor. Menschenrechtsgruppen berichten schon seit Jahren, dass in dem Land mehrere zehntausend Menschen aus politischen Gründen interniert seien. Presse- und Meinungsfreiheit werden unter Al-Sisis Ägide ebenso systematisch untergraben.

In dem an ihn adressierten Brief wird an den Tod des US-Bürgers Mustafa Kassem im Januar und den des ägyptischen Filmemachers Shady Habash im Mai erinnert. »Beide starben in Haft aufgrund medizinischer Nachlässigkeit«, heißt es dort. Im Juli erlag zudem der Journalist Mohamed Mounir den Folgen einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus, die er sich kurz nach seiner politisch motivierten Inhaftierung im Juni in einem Gefängnis zugezogen hatte.

Die Liste der inhaftierten prominenten Aktivisten ist dabei seit 2019 erneut deutlich länger geworden. Neben der trotz Al-Sisis repressiver Politik stoisch weiter ihre Arbeit machenden linken Menschenrechtsanwältin Mahinour Al-Masry sitzen auch der palästinensisch-ägyptische Aktivist Ramy Shaath seit mehr als einem Jahr hinter Schloss und Riegel. Nach einer Protestwelle gegen Al-Sisi im September 2019 hatte das Regime das Vorgehen gegen Aktivisten, Anwälte und Journalisten abermals deutlich verschärft und seither Tausende Menschen verhaften lassen.

»Ägyptische Gefängnisse sind lebensgefährlich für Gewerkschafterinnen, Journalisten und Menschenrechtsanwältinnen. Die Coronapandemie treibt die unhaltbaren Zustände auf die Spitze«, erklärt die Mitunterzeichnerin des Briefes und Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Christine Buchholz, gegenüber jW. In der Tat hat die Covid-19-Krise die Lage in Ägyptens Haftanstalten beträchtlich verschärft. Erst Anfang Oktober gab es im berüchtigten Tora-Gefängnis in Kairo einen Massenprotest, Hunderte Gefangene gingen in den Hungerstreik, nachdem die Behörden Kollektivstrafen gegen Internierte verhängt hatten, berichtete die unabhängige Internetzeitung Mada Masr.

Die EU-Abgeordnete der Linkspartei, Özlem Demirel, kritisiert derweil EU-Hilfen für das Regime in Kairo. »Es ist unerträglich, dass man vor allem aus geostrategischen Erwägungen einen Putschisten wie Al-Sisi nicht nur politisch, sondern auch militärisch unterstützt, während er Menschenrechte mit Füßen tritt und jede Art von demokratischer Opposition mit aller Macht unterdrückt«, erklärt die Mitunterzeichnerin des Briefes gegenüber jW. Es sei unverständlich, dass an Ägypten weiter Waffen verkauft werden. Demirel fordert, solche Lieferungen umgehend zu stoppen.

© Sofian Philip Naceur 2020

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