Der Fall Regeni – Rom verliert die Geduld

Der Fall des im Februar in Ägyptens Hauptstadt Kairo brutal zu Tode gefolterten italienischen Doktoranden Giulio Regeni sorgt weiter für erheblichen Zündstoff zwischen Rom und Kairo. Italiens Außenminister Paolo Gentiloni drohte am Dienstag im Parlament in Rom mit „unverzüglichen und angemessenen“ Maßnahmen Italiens, sollten Ägyptens Behörden nicht vollständig bei der Aufklärung des Falles kooperieren. Was das genau heißt, führte der Diplomat nicht aus. Doch aus dem parlamentarischen Menschenrechtskomitee war ein Abzug von Italiens Botschafter und eine verschärfte Reisewarnung für Ägypten ins Spiel gebracht worden, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters (erschienen in junge Welt 7.4.2016).

Der Sprecher von Ägyptens Außenministerium reagierte gereizt auf diese Äußerungen. „In Bestätigung der vollen Verpflichtung in diesem Fall mit Italien zu kooperieren, weigern wir uns diese Stellungnahmen, die die Situation nur weiter verkomplizieren, zu kommentieren“, so Ahmed Abu Zeid in Ägyptens Staatspresse. Mitarbeiter der Kairoer Staatsanwaltschaft und des Innenministeriums reisten derweil gestern nach Rom, um den Informationsaustausch beider Länder voranzutreiben, erklärte die ägyptische Staatsanwaltschaft.

Regeni war am 25. Januar 2016, dem fünften Jahrestag der ägyptischen Revolution, auf dem Weg zwischen seiner Wohnung im Stadtteil Dokki und der Kairoer Innenstadt verschwunden. Neun Tage später wurde sein grausam zugerichteter Körper an einer Ausfallstraße außerhalb Kairos in einem Straßengraben aufgefunden. Während Ägyptens Regierung rasche und lückenlose Aufklärung versprach, verliert die Regierung in Rom langsam aber sicher die Geduld. Schließlich überzeugen sämtliche von Kairo bislang öffentlich vorgelegten Hypothesen und Beweise zum Tathergang wenig.

Auch der jüngst von ägyptischer Seite als großer Schritt in Richtung Aufklärung des Falles präsentierte Coup ist wenig glaubhaft. Regeni sei Opfer einer Verbrecherbande geworden, die sich darauf spezialisiert habe als Polizisten in Erscheinung zu treten und Ausländer auszurauben. Bei einem Schusswechsel im Süden Kairos waren kurz zuvor fünf Männer erschossen worden, nachdem diese das Feuer auf Sicherheitskräfte eröffnet hätten. In der Wohnung der Schwester eines der Getöteten fanden ägyptische Ermittler daraufhin Regenis Ausweispapiere und präsentierten dies später als stichhaltigen Beweis. Doch der Fund der Dokumente wirft Fragen auf. Denn warum sollte jemand nach einem Gewaltverbrechen, das internationale Aufmerksamkeit auf sich zieht, die einzigen stichhaltigen Beweise in der eigenen Wohnung aufbewahren?

Während internationale Medien und Menschenrechtsgruppen schon von Beginn an ägyptische Polizei- oder Geheimdienstbehörden verdächtigen, sei der Fund der Ausweispapiere durch ägyptische Sicherheitskräfte gar ein weiterer Hinweis darauf, dass der Sicherheitsapparat in Regenis Tod involviert war, heißt es seitdem immer wieder. Schließlich entspreche der Fall Regeni einem Muster. Seit Anfang 2015 verschwinden im Land immer wieder Menschen. Meist tauchen diese zwar nach einigen Tagen oder Wochen in Gefängnissen oder Polizeistationen wieder auf, doch die Zahl der nach wie vor spurlos Verschwundenen geht in die Hunderte. Zudem wurde seit letzten Sommer immer wieder junge Ägypter einige Tage nach ihrem Verschwinden mit Folterspuren am Rande von Ausfallstraßen außerhalb Kairos tot aufgefunden. Ähnlichkeiten mit dem Fall Regeni sind offensichtlich.

Während die ägyptische Regierung auf die anhaltenden Proteste gegen Polizeigewalt und Willkür im Land beschwichtigend reagiert und Verfehlungen der Sicherheitskräfte konsequent als Einzelfälle bezeichnet, sehen Menschenrechtsgruppen in dem massenhaften Verschwinden junger Ägypter eine Rückkehr des auf Folter setzenden Polizeistaates. Im Fall Regeni sollte zwar weiterhin ein Gewaltverbrechen nicht konsequent ausgeschlossen werden, doch bislang deutet alles auf Ägyptens Sicherheitsapparat. Ägyptens zweifelhafte Ermittlungsstrategie entkräftet derlei Vorwürfe derweil wenig, sondern heizt Spekulationen nur weiter an.

© Sofian Philip Naceur 2016

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