Parlamentswahlen in Ägypten – Linke chancenlos

Mehr Geld für Bildung und Gesundheit, eine funktionierende Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit und eine Dezentralisierung staatlicher Machtstrukturen auf Basis eines parlamentarisch-republikanischen politischen Systems. Das sind die zentralen Forderungen der Sozialisten Volksallianz, einer der wenigen verbliebenen linken Parteien in Ägyptens marginalisiertem revolutionstreuen Lager. Doch keine dieser Forderungen, die an den Grundfesten der am Nil etablierten Herrschaftsstrukturen rütteln, wird mittelfristig umsetzbar sein. Die Partei tritt zwar bei der am Sonntag beginnenden Parlamentswahl mit insgesamt zehn Direktkandidaten an, doch große Chancen auf Repräsentation rechnet sich nicht einmal die Parteiführung aus (erschienen in Junge Welt am 17.10.2015).

Dennoch tritt sie an. „Wir wollen für unsere politischen Ziele im Parlament kämpfen“, sagt der Vizepräsident der Partei, Medhat Zahed, gegenüber jW. Zwar wurde ein Boykott des Urnengangs grade in linken Kreisen viel diskutiert, doch vor allem aufgrund der seit rund zwei Jahren andauernden öffentlichen und medialen Einschüchterung regimekritischer Positionen, will die Volksallianz die Gelegenheit des Wahlkampfes nutzen, um die Menschen über ihre politischen Ziele und ihr Wahlprogramm aufzuklären. Ein Boykott bringe daher nichts. „Wir müssen jede Gelegenheit wahrnehmen und Kontakt zu den Menschen suchen“, betont Zahed.

Ähnlich ist es um die Sozialdemokratische Partei Ägyptens (ESDP) bestellt. Zwar tritt sie mit 77 Kandidaten an, doch auch sie ist zufrieden, wenn es überhaupt ein Vertreter ins Parlament schafft. In regimekritischen Kreisen herrscht Ernüchterung. Heute gäbe es im Land noch drei politische Lager, meint der ESDP-Sekretär für auswärtige Angelegenheiten, Hussein Gohar. Eines unterstütze das Regime und dessen Führung, das zweite stehe auch hinter dem Regime, wolle aber die Köpfe an dessen Spitze austauschen. Das dritte lehne beides ab und kämpfe für einen zivilen demokratischen Staat, meint Gohar. Letzteres sei das schwächste.

„Unsere Partei ist während der politischen Turbulenzen der letzten Jahre intakt geblieben, aber wir haben viel Unterstützung verloren“, meint er. Das läge vor allem daran, dass der politische Gegner von Regime und linksliberaler Opposition, die islamistische Muslimbruderschaft, durch deren Entmachtung 2013 von der politischen Bühne abgetreten sei. Die Verfassungspartei, ein hoffnungsvolles Projekt, dass in der Jugend des Landes extrem populär war, steht am Rande der Auflösung. Deren Vorsitzende Hala Shukrallah hat schon im Sommer das Handtuch geworfen und die Partei verlassen. Auch Parteisprecher Khaled Dawoud trat zurück. Nun will die fragmentierte Partei noch während der Parlamentswahl eine neue Führung wählen. Geplant ist der Parteikongress für Anfang November – mitten zwischen erster und zweiter Wahlrunde. Kein Wunder also, dass sich vor allem junge Menschen wenig für den anstehenden Urnengang interessieren. Das Gros der Bevölkerung macht sich keine Illusionen über dessen Ausgang. Das regimekritische Lager wird vorerst in der parlamentarischen Bedeutungslosigkeit versinken. Für regimenahe Kräfte ist die Wahl ein Heimspiel.

© Sofian Philip Naceur 2015

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