Sektiererische Gewalt in Algerien

Bei den Mitte vergangener Woche ausgebrochenen sektiererischen Unruhen in der Provinz Mzab im Süden Algeriens sind mindestens 22 Menschen getötet und Dutzende teils schwer verletzt worden. Nach Angaben lokaler Zeitungen stürmten bewaffnete sunnitische Araber vom Stamm der Chaâmba drei mehrheitlich von zur Berber-Minderheit im Land gehörenden Volksgruppe der Mozabiten bewohnte Viertel nahe der Stadt Ghardaïa rund 600 Kilometer südlich von Algeriens Hauptstadt Algier und eröffneten das Feuer. Mindestens 16 der Toten sollen Mozabiten sein. Algeriens Zentralregierung schickte zusätzliche Sicherheitskräfte in die abgelegene Provinz und ermächtigte die Armee die öffentliche Ordnung in Mzab wiederherzustellen (erschienen in Junge Welt am 13.7.2015).

Polizei und Gendarmerie, die gefürchtete Militärpolizei Algeriens, ließen nach Angaben der Regierung seit dem neuerlichen Gewaltausbruch zwischen beiden Volksgruppen 38 Menschen verhaften und ein Gewehr, Stichwaffen und Molotowcocktails beschlagnahmen. Die französische Nachrichtenagentur AFP berichtet von ausgebrannten Häusern und Autos sowie Barrikaden zwischen den mehrheitlich von Berbern und Arabern bewohnten Vierteln. Die Stimmung in der Region bleibt weiter angespannt. Die Regierung rief eine partielle Ausgangssperre für die Provinz aus.

Insbesondere Ghardaïa, die größte Stadt im zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Mzab-Tal, ist bereits seit Dezember 2013 Schauplatz von immer wieder aufflammender sektiererischer Gewalt zwischen Arabern und Berbern, die sich seither regelmäßig gewaltsame Zusammenstöße lieferten. Chaâmbas und Mozabiten gingen dabei immer wieder aufeinander los und zündeten Häuser und Geschäfte an. Ausgangspunkt der Unruhen 2013 war die Schändung eines Berber-Schreins und die Verwüstung eines Friedhofs. Die Gruppen streiten sich seither über Landnutzungs- und Eigentumsrechte. Die Mozabiten werfen der Regierung in Algier vor die sunnitischen Araber in Mzab zu bevorzugen und die Berber strukturell zu benachteiligen.

Der Blutzoll der vergangenen Woche stellt jedoch die seit 2013 registrierten gewaltsamen Ausschreitungen zwischen beiden Volksgruppen in der Provinz weit in den Schatten. Damals waren acht Menschen getötet worden. Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika rief ein Treffen hochrangiger Funktionären aus Regierung, Sicherheitsapparat und seiner Partei, der Nationalen Befreiungsfront (FLN), ein, um über weitere Maßnahmen zur Beruhigung der Lage zu beraten. Das ist auch bitter nötig, schließlich sind die Spannungen zwischen Berbern und Arabern im Süden des Landes ein seit Algeriens Unabhängigkeit 1962 andauernder ethnischer Konflikt. Damals gewannen die Sunniten die Unterstützung der FLN und attackierten die Berber als reaktionäre Profiteure der alten Kolonialordnung Frankreichs. Vor allem die ethnisch ausgerichtete Politik des damals regierenden Staatspräsidenten Houari Boumediénne verhärtete die Fronten weiter. Unter seiner Regentschaft setzte das Regime auf eine aggressive staatlich geförderte sunnitische Arabisierung des Landes, die zu einer Politisierung der Berber-Minderheit im Land führte. Algeriens Berber kämpfen seit Boumediénnes Amtszeit vermehrt für ihre politischen und kulturellen Rechte und lieferten sich immer wieder gewaltsame Auseinandersetzungen mit dem Staat. Im Mzab-Tal fanden sowohl 1985 als auch 2008 ähnliche Unruhen statt, doch die jüngste Gewaltwelle ist mit Abstand die heftigste ethnisch motivierte Gewalteruption in der zu 90 Prozent von Berbern bewohnten Region.

© Sofian Philip Naceur 2015

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