Ägyptische Terrorgruppe schwört IS die Treue

Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die weite Teile Syriens und Iraks kontrolliert, bekommt vermehrt Zulauf in Nordafrika. Nachdem sich bereits eine algerische Extremistengruppe dem IS angeschlossen hatte, erklärt nun auch Ägyptens größte radikalislamistische Miliz Ansar Bait Al-Maqdis ihre Gefolgschaft zum IS (erschienen bei n-tv Online am 28.11.2014).

Ägypten hat ein Terrorismusproblem. Und es wird zunehmend bedrohlicher. In einer Mitte November im Internet veröffentlichten Audiobotschaft erklärt die größte und schlagkräftigste militante Islamistengruppe am Nil Ansar Bait Al-Maqdis (ABM) ihre Loyalität zu IS-Führer Abu Bakr Al-Baghdadi und ruft das ägyptische Volk zum Kampf gegen Regierung und Armee auf. ABM verurteilt darin die Militäroperationen der Armee im Nord-Sinai an der Grenze zu Israel und dem palästinensischen Gaza-Streifen und kündigt Vergeltung an. Die Regierung hatte Anfang November eine Militäroffensive gegen die Radikalislamisten gestartet, nachdem sich am 24. Oktober ein Selbstmordattentäter an einem Militärcheckpoint nahe der Kleinstadt Scheikh Zuweid an der Grenze zu Gaza in die Luft gesprengt und 33 Soldaten getötet hatte. Seither intensiviert ABM ihre Aktivitäten in Kairo und im Nildelta. Erst vergangenen Woche attackierten Extremisten ein Schiff der ägyptischen Marine vor der Küste der Mittelmeerstadt Damietta. Acht Soldaten gelten seither als vermisst.

Die seit 2011 auf dem Sinai operierende Islamistenorganisation ABM konzentrierte sich bis zum Sturz von Ägyptens Ex-Präsident Mohamed Mursi im Juli 2013 fast ausschließlich auf Einrichtungen von Polizei oder Armee sowie Checkpoints im Nord-Sinai, weitete ihre Terrorattentate seither aber auf Ägyptens Kernland aus. Neben dutzenden amateurhaft ausgeführten Anschlägen ist ABM auch für den schweren Anschlag auf ein Polizeigebäude in Mansoura im Nildelta am 24. Dezember und das Attentat auf ein Polizeihauptquartier in der Kairoer Innenstadt im Frühjahr 2014 verantwortlich. Der Staat weiß, dass er das Primärziel für die Radikalislamisten ist und mauert sich ein. Polizeiwachen, Militärkasernen und staatliche Einrichtungen wie Gerichtsgebäude und Ministerien sind seither hinter meterhohen Betonwänden verschwunden. Im Zentrum von Kairo ist nach wie vor ein riesiges direkt an den Tahrir-Platz angrenzendes Areal komplett abgeriegelt. Hinter den meterhohen Betonmauern befindet sich das Innenministerium, das Parlamentsgebäude, der Sitz des gefürchteten Inlandsgeheimdienstes Amn Al-Dawla und der Regierungssitz. Soldaten verschanzen sich mit automatischen Waffen im Anschlag hinter Schießständen, Radpanzer versperren die Straßen.

Zwar ist die Militärpräsenz in Kairo seit Beginn des Jahres stark zurückgegangen, doch der Nord-Sinai rund um die Provinzhauptstadt Al-Arish westlich von Gaza gleicht einer Hochsicherheitszone. Schon Ende 2012 säumten Panzer die Hauptstraßen Al-Arishs Der Militärcheckpoint an der Friedensbrücke bei Ismailija, dem wichtigsten Zufahrtsweg in den Nord-Sinai glich einer Kaserne. Heute ist der Norden der Halbinsel gesperrt. Ausländer, insbesondere Journalisten, haben keinen Zugang. Selbst ägyptische Reporter sind unerwünscht.

Das Militär führt derweil in Al-Arish einen Krieg gegen ABM. Präsident Abdel Fattah Al-Sisi verhängte nach dem Attentat in Scheikh Zuweid den Notstand und eine Ausgangssperre über die Provinz. Die Armee geht mit Razzien und Luftangriffen gegen ABM vor und hat begonnen entlang der Grenze zum Gaza-Streifen eine 1000 Meter breite Pufferzone zu errichten. Anwohner werden enteignet, ihre Häuser gesprengt. Die Zone wird sprichwörtlich dem Erdboden gleich gemacht. Ein Dokumentarfilmer aus Al-Arish bestätigt anhaltende Übergriffe der Armee. Ägyptens Militär war in den letzten zwei Jahren nicht in der Lage die Verstecke von ABM ausfindig zu machen oder die Gruppe zu zerschlagen und reagiert nun mit Kollektivbestrafung. 10000 Menschen werden umgesiedelt. Während Kairo die Verantwortlichen für die jüngsten Anschläge in Gaza ausmacht, zeigt die Umsiedlung, dass Ägypten für einen asymmetrischen Krieg nicht vorbereitet ist. Kairo packt das Problem im Sinai zudem nicht bei seinen Wurzeln an, sondern lässt blindlings zurückschießen.

Derweil sollte sich Ägypten nicht nur über die Professionalisierung von ABM Sorgen machen, schließlich droht dem Land an seiner westlichen Flanke weiteres Unheil. Im Juli attackierten Radikalislamisten einen Militärcheckpoint bei Al-Farafra in der westlichen Wüste. 22 Soldaten starben. Das Sicherheitsvakuum in der Sahara machen sich dort operierende Extremisten schon seit Jahrzehnten zu nutzen und sind zunehmend eine Gefahr für Ägypten. Gewaltbereite Islamisten wurden schon im Zuge des Bürgerkrieges in Algerien in den 1990er Jahren in die Wüste zurückgedrängt, erwiesen sich jedoch als extrem anpassungsfähig. Die Region bietet den perfekten Rückzugsraum für islamistische und kriminelle Banden, die die Wirren des algerischen Bürgerkrieges überstanden, sich neu formierten, ihren Aktionsradius erweiterten und sich durch Menschen- und Drogenhandel finanzieren. Noch heute ist die Sahara eine Hauptroute für kolumbianisches Kokain, dass über Westafrika in die Sahara und von dort weiter nach Europa geschmuggelt wird. Auch fungiert der anhaltende Krieg und Zerfall Libyens als Katalysator für die verstärkten Aktivitäten radikaler Gruppen in der gesamten Region. Während Waffen aus libyschen Beständen 2012 den Bürgerkrieg in Mali anheizten, erbeuteten auch ABM-Terroristen im Sinai diese teils aus Europa stammenden Waffen.

Während Ägyptens Armee im Nord-Sinai weiter mit Gewalt versucht ABM den Garaus zu machen, öffnet der Anschluss der Gruppe an den IS ein neues Kapitel in Ägyptens Anti-Terror-Kampf und ist eine Bedrohung für das Land am Nil und die gesamte Region. Bereits im September erklärte eine Abspaltung der in Algerien aktiven salafistischen Terrorgruppe Al-Qaida im Islamischen Maghreb ihre Treue zum IS. Während Algeriens Armee jedoch über jahrzehntelange Erfahrungen mit Guerillataktiken vorweisen kann, hat Ägyptens Militär keine Erfahrungen mit asymmetrischer Kriegsführung. Kairos auf dem Einsatz schwerer Waffen basierende Anti-Terror-Politik ist zum Scheitern verurteilt, da Ägypten weiterhin auf brachiale Gewalt setzt statt dem militanten Nährboden im Sinai mit politischen, sozialen und wirtschaftlichen Mitteln zu begegnen und diesen auszutrocknen. Ägyptens Führung hat im Sinai schlichtweg versagt, doch die Regierung hält an ihrer drakonische Vorschlaghammerpolitik konsequent fest. Erhöhte Militärpräsenz, Razzien und Luftschläge haben das sicherheitspolitische Problem im Sinai jedoch keineswegs gelöst, sondern die Lage vielmehr eskalieren lassen. Denn ABM wird sich durch den Anschluss an den IS weiter professionalisieren und bisher hat Ägyptens Armee kein geeignetes Mittel gefunden die anhaltende Anschlagswelle im Sinai zu stoppen.

© Sofian Philip Naceur 2014

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