Parlamentswahlen in Algerien – Machtwechsel ausgeschlossen

Algerien wählt am heutigen Donnerstag ein neues Parlament. Auf dem Papier ist die Abstimmung die pluralistischste Parlamentswahl seit Einführung des Mehrparteiensystems 1990: 63 Parteien, 98 unabhängige Wahllisten und mehr als 11.300 Kandidaten kämpfen nach Angaben der Behörden um die insgesamt 462 Sitze in der Nationalen Volksversammlung in Algier. Doch ganz so demokratisch wie es derlei Zahlen suggerieren, ist der Urnengang keineswegs. Ein Machtwechsel im Unterhaus des Parlaments gilt als ausgeschlossen, ein Wahlsieg des Regierungslagers als sicher. Offen ist nur, ob sich die zwei Regierungsparteien, die frühere Einheitspartei Nationale Befreiungsfront (FLN) von Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika, und dessen Koalitionspartner, die Nationaldemokratische Sammlung (RND), abermals die Macht im Parlament teilen werden (erschienen in junge Welt am 4.5.2017).

FLN-Funktionäre warben im Wahlkampf wiederholt um eine absolute Mehrheit. Entsprechend heftig attackierten sich FLN und RND in den letzten Wochen, doch angesichts der Nähe von RND-Chef Ahmed Ouyahia zu Algeriens Staatspräsident wäre ein Ausscheiden seiner Partei aus der Regierung eigentlich eine Überraschung. Ouyahia fungiert bis heute als Bouteflikas Kabinettschef und lässt keine Gelegenheit aus, seine Loyalität gegenüber dem gesundheitlich angeschlagenen 80jährigen Staatschef zu betonen. Das RND wirbt auf Wahlplakaten sogar mit Bouteflikas Antlitz. Dies kann indes auch als Zeichen gewertet werden, wie verzweifelt man an der Koalition festhält.

Zwei andere regimenahe Parteien stehen derweil bereit, um das RND als Juniorpartner der FLN im Kabinett abzulösen. Sowohl die Algerische Volksbewegung (MPA) von Amara Benyounés als auch die TAJ von Amar Ghoul machen sich Hoffnungen auf eine Regierungsbeteiligung. Ausgeschlossen ist dieses Szenario keineswegs, wird die Abstimmung doch auch als Stimmungstest für Bouteflikas Nachfolge im höchsten Staatsamt eingeschätzt. Premierminister Abdelmalek Sellal (FLN) gilt zwar als Favorit auf den Posten, doch auch Ouyahia werden Ambitionen auf das Amt nachgesagt. Ob die FLN den heutigen Urnengang tatsächlich nutzen wird, um mit Ouyahia einen Konkurrenten Sellas loszuwerden, wird sich zeigen, wenn die Ergebnisse bekanntgegeben werden.

Die zahlreichen Oppositionsparteien machen sich unterdessen keine Illusionen über den Ausgang der Wahl, hoffen aber auf eine starke Zustimmung und eine entsprechend hohe Repräsentanz in der neuen Volksvertretung, um das Regime aus der parlamentarischen Opposition heraus attackieren zu können. Das stark zersplitterte islamistische Lager hat zwar das größte Wählerpotential im Land, gilt jedoch als politisch diskreditiert und hat Probleme seine Anhängerschaft zu mobilisieren.

Zu den aussichtsreichsten linksliberalen Oppositionskräften zählen die in der von der Minderheit der Berber dominierten Region Kabylei verankerten Sammlung für Kultur und Demokratie (RCD) und Front Sozialistischer Kräfte (FFS). Beide Parteien präsentieren mit ihrem föderalen Staats- und Gesellschaftsentwurf und einer linksliberalen, auf soziale Gerechtigkeit setzenden Programm eine politische Alternative zum Status Quo, nutzen den Wahlkampf aber vor allem für heftige Attacken gegen die „Oligarchie“, wie FFS-Chef Abdelmalek Bouchafa das Regime jüngst nannte.

Inwieweit FFS, RCD und die trotzkistische Arbeiterpartei (PT), die zwar zur Opposition zählt, aber in der Vergangenheit Bouteflikas Präsidentschaft unterstützte, ein gutes Ergebnis einfahren, hängt auch mit dem Willen des Regimes zusammen, eine kritische Opposition im Parlament zuzulassen. Denn die Abstimmung ist nicht transparent. Lokalregierungen und Staatsapparat sind vom FLN durchsetzt. Außerdem ist die neu gegründete Oberste Wahlkommission zwar formell unabhängig. Ihre Mitglieder werden jedoch vom Staatschef ernannt, weswegen von Unabhängigkeit keine Rede sein kann.

© Sofian Philip Naceur 2017

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