Bootsunglück vor Ägyptens Küste

Bei einem Bootsunglück vor der ägyptischen Küste nahe der Provinzen Beheira und Kafr Al-Sheikh östlich der Mittelmeerstadt Alexandria könnten mehrere hundert Menschen ertrunken sein. Das ägyptische Gesundheitsministerium bestätigte bisher 42 Tote. Ägyptens Marine konnte eigenen Angaben zufolge 168 Menschen aus dem Mittelmeer borgen, die Rettungsarbeiten seien aber noch nicht beendet. Nach Angaben von in lokalen Medien zitierten hochrangigen Militärs, sei das Boot mit 300 bis 600 Menschen besetzt gewesen und hätte das Land nahe der Kleinstadt Borg Megheizal verlassen (erschienen in junge Welt am 23.9.2016).

Damit wäre das Unglück vom Mittwoch die bisher schwerste Flüchtlingskatastrophe in Ägypten. Schon seit 2015 steigt die Zahl der Menschen, die von ägyptischem Boden aus in See stechen, stark an. Seit Jahresbeginn 2016 hätten bereits über 12.000 Menschen versucht per Boot nach Europa überzusetzen, sagt Mohamed Al-Kashef von der Menschenrechtsorganisation Egyptian Initiative for Personal Rights gegenüber jW. Im gesamten Jahr 2015 seien es noch 8.000 gewesen.

Ägyptens Premierminister Sherif Ismail wies die Sicherheitsbehörden an, die Verantwortlichen für das Kentern des Bootes schnellstens ausfindig zu machen und zu verhaften. Ein Gesetzentwurf, der höhere Strafen für Schleuser von „illegalen Migranten“ vorsieht, sei an das ägyptische Parlament übermittelt worden und werde in der bevorstehenden Sitzungsperiode im Oktober diskutiert. Die Staatsanwaltschaft in der Stadt Damanhour ordnete unterdessen am Mittwoch Untersuchungshaft gegen vier mutmaßliche Besatzungsmitglieder des Bootes an, heißt es in der staatlichen ägyptischen Tageszeitung Al-Ahram.

Erst am Vortag hatte Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al-Sisi bei einer Plenarsitzung der Vereinten Nationen in New York erklärt, sein Land wolle die so genannte „illegale Migration“ aus Ägypten zukünftig stärker eindämmen. Der Kampf gegen die illegale Migration sollte an der Spitze unserer internationalen Prioritäten stehen, erklärte der ehemalige ägyptische Armeechef. Viele der rund fünf Millionen Flüchtlinge in Ägypten genössen die gleichen Rechte wie ägyptische Staatsbürger und hätten Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem und würden trotz der angespannten Lage des Staatshaushaltes von staatlichen Subventionen profitieren. Eine stark beschönigende Beschreibung der Situation von Flüchtlingen und Migranten im Land, überlässt die Regierung die Menschen doch weitgehend sich selbst. Syrische Flüchtlinge berichten von zuletzt massiv angestiegenen Gebühren für Ausländer an staatseigenen Universitäten. Auch staatliche Gesundheitsleistungen seien für die finanziell oft klammen Flüchtlinge und Migranten keinesfalls erschwinglich, erzählt ein syrischer Medizinstudent, der seinen Namen nicht nennen will.

Das Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) in Kairo gilt trotz Unterbesetzung und eklatanter Unterfinanzierung als primäre Anlaufstelle für Flüchtlinge am Nil, benötigt jedoch meist mehrere Monate für die Bearbeitung von Anträgen jedweder Art.

Die EU intensiviert derweil bereits seit 2015 ihre Bemühungen, Ägypten stärker in die Abschottung Europas einzubinden. Die Bundesregierung führt zu diesem Zweck polizeiliche Ausbildungshilfen für ägyptische Polizei- und Geheimdienstbehörden durch – trotz Kritik an der Kooperation mit dem für massive Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemachten Sicherheitsapparat im Land.

Besorgniserregend, aber wenig verwunderlich, ist derweil die Anzahl der am Mittwoch geretteten ägyptischen Staatsbürger. Unter den Überlebenden des Unglücks hätten sich 111 Ägypter befunden, berichten ägyptische Medien mit Verweis auf Armeeangaben. Erst vor zwei Wochen war ein Boot mit 155 Menschen an Bord im westlich von Alexandria gelegenen Marsa Matouh von der Marine aufgebracht worden. 114 davon waren ägyptische Staatsbürger. Sollte sich die Wirtschafts- und Währungskrise in Ägypten weiter verschärfen, ist mit einem zusätzlichen Anstieg der Überfahrten nach Europa zu rechnen.

Update: In einer früheren Version des Artikels war irrtümlich die Zahl der aus Ägypten ausgereisten Menschen mit 80.000 und 120.00 anstelle von 8.000 und 12.000 angegeben worden.

© Sofian Philip Naceur 2016

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