Ägyptens Innenminister angezählt?

Die jüngsten gewaltsamen Übergriffe gegen Journalisten in Ägypten lassen die Konfrontation zwischen Innenministerium und dem Journalistensyndikat, dem ägyptischen Journalistenverband, eskalieren. Am Mittwoch versammelten sich rund 2000 Menschen vor dem Syndikatsgebäude in der Kairoer Innenstadt und forderten lautstark den Rücktritt von Ägyptens Innenminister Magdy Abdel Ghaffar. Der Verband hatte eine außerordentliche Generalversammlung einberufen, um über Konsequenzen aus der wiederholten Staatsgewalt gegen Reporter zu beraten (erschienen in junge Welt vom 7.5.2016).

Auslöser des inzwischen offen geführten Schlagabtauschs zwischen Staatsmacht und Verband waren die Massenverhaftungen im Zuge der landesweiten regimekritischen Demonstrationen vom 25. April, in dessen Rahmen auch 43 Reporter vorübergehend in Gewahrsam genommen wurden. Nach den darauf folgenden Protesten von Journalisten vor dem Obersten Gericht und dem Syndikatssitz stürmten Polizisten in Zivil das Foyer des Journalistenverbandes und ließen zwei weitere Reporter verhaften. Gegen die beiden Mitarbeiter des Nachrichtenportals Yanair, Amr Badr und Mahmoud Al-Sakka, lagen Haftbefehle vor.

Die Stürmung des Syndikats sei „beispiellos“ und einmalig in der über 75 jährigen Geschichte des Verbandes, so der Chef des Syndikats, Yahia Qallash. Entsprechend heftig fiel die Reaktion der Berufsvereinigung aus. Denn die auf der Generalversammlung beschlossenen Forderungen haben es in sich. Neben dem sofortigen Rücktritt von Innenminister Abdel Ghaffar verlangt das Syndikat eine offizielle Entschuldigung von Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi für die Erstürmung des Syndikats, die umgehende Freilassung aller inhaftierter Journalisten und eine Klage gegen die Belagerung des Verbandssitzes durch Ägyptens Polizei.

Beschlossen wurden auch öffentlichkeitswirksame Maßnahmen, die den Druck auf Abdel Ghaffar erhöhen dürften. Offizielle Stellungnahmen des Innenministeriums sollen ignoriert, der Name des Innenminister nicht mehr genannt werden. Am Sonntag wollen zahlreiche Zeitungen eine schwarze Titelseite drucken.

Auch die regimefreundliche Presse am Nil wendet sich gegen die Regierung. Während zahlreiche Zeitungen die Forderungen der Generalversammlung vom Mittwoch unterstützen, äußerte sich Al-Ahram, das Flaggschiff der ägyptischen Staatspresse, ambivalent. Noch am Mittwoch hieß es im Leitartikel der Zeitung, die Erstürmung des Syndikats sei „inakzeptabel“. Am Donnerstag ruderte das Blatt jedoch zurück und warnte vor einer Politisierung des Journalistenverbandes.

Unterdessen wehrt sich die Branche gegen die jüngst verhängten Nachrichtensperren, einem Instrumentarium, von dem ägyptische Behörden zuletzt regelmäßiger Gebrauch machten. Nachdem die Staatsanwaltschaft bereits eine Nachrichtensperre über die Verfahren gegen die am 25. April verhafteten Demonstranten verhängt hatte, legte die oberste Anklagebehörde am Dienstag nach und belegte auch die Verhaftung Badrs und Al-Sakkas und die damit zusammen hängende Stürmung des Syndikats mit einem Nachrichtenbann.

Innenministerium und Staatsanwaltschaft versuchen derweil gegenzusteuern. In einer Erklärung der Staatsanwaltschaft heißt es, die Verhaftung der zwei Reporter sei aufgrund ihrer angeblicher Aufrufe zur Teilnahme an nicht genehmigten Protesten erfolgt und habe nichts mit ihrem Beruf zu tun. Die Verhaftung von Reportern innerhalb des Syndikatssitzes sei rechtens und verstoße nicht gegen die Verfassung, heißt es in der Stellungnahme weiter. Das Innenministerium wirft den zwei internierten Journalisten vor das Syndikat in die Auseinandersetzung hineingezogen zu haben, um Unruhe im Land zu stiften.

Der Sit-In in und vor dem Journalistenverband soll derweil trotz der anhaltenden Belagerung des Syndikats durch ein massives Polizeiaufgebot bis Dienstag fortgesetzt werden. Sollten die Forderungen der Generalversammlung bis dahin nicht erfüllt sein, werde das Syndikat über weitere Maßnahmen beraten. Die Verbandsleitung droht mit Streik.

© Sofian Philip Naceur 2016

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