Ägyptens Polizei außer Kontrolle

Polizeiwillkür und brutale Folterpraktiken der Sicherheitsbehörden sind keine Seltenheit in Ägypten. Doch die jüngsten Fälle von Gewalt, Willkür und Mord durch Sicherheitskräfte setzen Ägyptens Regierung massiv unter Druck. Am Freitag versammelten sich rund 4000 Menschen vor der Berufsgenossenschaft der Ärzte im Kairoer Stadtzentrum und forderten den Rücktritt von Gesundheitsminister Ahmed Emad. Die Generalversammlung der Ärztekammer votierte für einen landesweiten Streik für den 20. Februar, sollten die Forderungen der Ärztevereinigung nicht erfüllt werden (erschienen in Junge Welt am 16.2.2016).

Ausgangspunkt der bereits seit zwei Wochen andauernden Proteste der Ärzteschaft im Land ist ein Vorfall Ende Januar im Krankenhaus in Matariya, einem der ärmsten Bezirke im Nordosten der ägyptischen Hauptstadt. Die Behandlung von zwei Polizisten eskalierte, nachdem sich zwei Ärzte weigerten eine von ihnen als nur oberflächlich diagnostizierte Wunde zu nähen. Die beiden Mediziner wurden daraufhin in einen Transporter gezerrt und in der Polizeistation in Matariya von neun Beamten verprügelt. Die Wache in Matariya gilt als eine der grausamsten Polizeieinrichtungen der Stadt. Fast wöchentlich dringen von hier Berichte über Folter, Willkür und Polizeigewalt an die Öffentlichkeit. Das Personal des Krankenhauses lief daraufhin Sturm. Nach einem mehrtägigen Arbeitsausstand drohte die Regierung mit Konsequenzen, doch das Krankenhauspersonal gab nicht nach und drohte ihrerseits damit kollektiv zu kündigen.

Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen neun Beamte aufgenommen, doch nach der kurzweiligen Internierung der Polizisten wurden sie auf Kaution frei gelassen. Die Ärztegenossenschaft fürchtet, dass die Strafverfolgung gegen die Beamten folgenlos bleiben wird. Denn das übliche Prozedere in derlei Fällen folgt einem altbekannten Muster. Sobald Proteste wegen Verfehlungen ägyptischer Offizieller die Öffentlichkeit mobilisieren, werden strafrechtliche Maßnahmen eingeleitet. Es gibt Verhaftungen oder gar erstinstanzliche Verurteilungen, doch Berufungsgerichte im Land annullieren diese in der Regel sobald die öffentliche Aufmerksamkeit für die jeweiligen Fälle sinkt.

Jüngstes Beispiel dafür ist das Revisionsverfahren gegen den Polizisten, der am Jahrestag der ägyptischen Revolution am 25. Januar 2015 die linke Aktivistin Shaimas Al-Sabbagh in der Kairoer Innenstadt erschossen hat. Das Mitglied der Sozialistische Volksallianz hatte an einem Gedenkmarsch für die Opfer der Revolution teilgenommen als die Bereitschaftspolizei begann mit Schrotmunition auf die friedliche Demonstration zu feuern. Der Beamte wurde auf Grundlage von Videoaufnahmen überführt und zu 15 Jahren Haft verurteilt. Am Sonntag hob ein Berufungsgericht die Strafe auf und ordnete einen Revisionsprozess an. Man rechne mit einem Freispruch, heißt es aus Reihen der Sozialistischen Volksallianz.

Der Fall steht symptomatisch für die Straffreiheit für Polizisten auch nach Vorfällen, in denen Menschen den Praktiken der Sicherheitskräfte erlegen sind. Dabei zählen Gewalt, Willkür und Folter im Sicherheitsapparat zur Regel und sind keine Ausnahme. Das Nadeem Center für Rehabilitation von Gewaltopfern in Kairo zählte im Jahr 2015 über 670 Foltervorfälle in Polizeigewahrsam. Insgesamt 137 Menschen seien im selben Jahr in Polizeigewahrsam getötet worden. Die schiere Anzahl derartiger Fälle zeige, dass die Politik der Repression ein Werkzeug des Regierens geworden sei, schreibt das Nadeem Center in einer Stellungnahme.

Derweil kommen immer mehr Details über den Tod des italienischen Doktoranden Giulio Regeni ans Licht, dessen grausame Ermordung massive internationale Aufmerksamkeit für die anhaltende systematische Polizeigewalt in Ägypten auslöste. Auch hier ist eine Verwicklung des Sicherheitsapparates naheliegend. Der Fall Regeni zeigt umso mehr, dass Ägyptens Sicherheitsapparat außer Kontrolle geraten ist und extralegal operiert. Die Ausbildungsmaßnahmen der deutschen Bundesregierung für die Polizei und Geheimdienste in Ägypten mutet vor diesem Hintergrund umso fragwürdiger an.

© Sofian Philip Naceur 2016

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