Parlamentarische Diktatur am Nil

Seit über drei Jahren hat Ägypten kein gewähltes Parlament. Jetzt sollen Wahlen stattfinden, um die pseudodemokratische Fassade des Landes zu restaurieren. Doch das Parlament wird machtlos bleiben, schließlich sind die wirtschaftspolitischen Weichen im postrevolutionären Ägypten längst gestellt.

Über drei Jahre sind vergangen seit Ägyptens Verfassungsrichter das letzte regulär arbeitende Parlament am Nil auflösen ließen. Es sei auf Grundlage verfassungswidriger Wahlgesetze eingesetzt worden, entschied das Verfassungsgericht im Juni 2012. Sowohl der kurz darauf vereidigte erste demokratisch gewählte Präsident des Landes Mohamed Mursi als auch seine Nachfolger, Interimspräsident Adli Mansour, und der amtierende Staatspräsident Ägyptens Abdel Fattah Al-Sisi regierten und regieren daher im Alleingang. Das Regime stört sich jedoch keineswegs an der Abwesenheit einer funktionierenden Legislative und auch in der Bevölkerung waren Rufe nach einer autoritären Staatsführung sehr populär. Viele Menschen hofften schließlich darauf die wirtschaftspolitischen Instabilitäten schneller hinter sich lassen zu können, wenn das Land straff regiert werde. Dennoch stehen heute, 16 Monate nach Al-Sisis Amtsantritt, erstmals seit 2011 wieder Wahlen zum Parlament bevor, Wahlen für ein Parlament, das keinerlei Einfluss auf das politische Geschehen des Landes haben und von regimenahen Kräften dominiert werden wird. Denn Ägyptens politische Weichen sind längst gestellt, hat der Präsident doch in seiner kurzen Amtszeit bereits hunderte Gesetze, Gesetzesrevisionen und Präsidialdekrete unterzeichnet und damit langfristig die Interessen der alten Eliten gesichert (erschienen in Die Wochenzeitung am 15.10.2015).

Dennoch ist die Posse um die Wahl einer neuen Legislative herrschaftspolitisch aufschlussreich, entlarvt sie doch den autoritären Charakter einer Regierung, die immer wieder verfassungswidrig agiert. Schließlich ignorierte das Regime nicht nur die 2014 verabschiedete neue Verfassung Ägyptens und die darin enthaltenen Wahlregularien, sondern versuchte mehrfach verfassungswidrige Wahlgesetze durchzudrücken. Dennoch scheint es im Interesse der Regenten in Kairo zu sein zügig eine neue gewählte Volksvertretung einzusetzen und das vor allem aus zwei Gründen. Einerseits hat sich das regimefreundliche Lager im Land mittlerweile derart gefestigt, dass Al-Sisi und die Militärführung mit sicheren Mehrheiten in der neuen Kammer rechnen können. Unklar bleibt nur wie stark die unterschiedlichen Parteien abschneiden werden. Zudem will das Regime vorsorgen, denn der Unmut über die Regierungsführung Al-Sisis wächst und dieser und die hinter verschlossenen Türen regierende Armee brauchen früher oder später, je nachdem wie und wann sich dieser Unmut wieder auf der Straße entlädt, eine neue pseudodemokratische Fassade. Doch das Modell Mubarak wird sich kaum eignen Ägyptens parlamentarische Diktatur wiederzubeleben.

Die Generäle werden zu verhindern wissen, dass sich auch Al-Sisi einen linientreuen Parteiapparat zulegt wie es der im Februar 2011 aus dem Amt gejagte Langzeitdiktator Hosni Mubarak mit seiner Hizb Al-Watani, der Nationaldemokratischen Partei Ägyptens (NDP), 30 Jahre lang vorgemacht hat. Die 1978 von dessen Vorgänger Anwar Al-Sadat gegründete Partei war bis 2011 die faktische Einheitspartei des Regimes und dominierte seit ihrer Gründung sämtliche Volksvertretungen im Land. Die Partei fungierte dabei als ziviles Aushängeschild des Regimes und erlaubte es den Generälen im Hintergrund die Fäden zu ziehen, während Mubarak und seine NDP die demokratische Fassade eines autoritär regierten Landes besetzten. Doch für Mubarak war die Partei weit mehr, instrumentalisierte er die Partei doch auch, um sich vom allmächtigen Militär zu emanzipieren und eine eigene Machtbasis zu schaffen. Mit Erfolg. Parteikader der NDP besetzten bis zu Mubaraks erzwungenem Abtritt nicht nur Schlüsselpositionen im politischen System, sondern nutzten diese Posten auch, um ihren Einfluss auf die Privatwirtschaft auszuweiten und diese mittels Klientelismus und Korruption zu durchdringen und damit eine Mubarak nahe stehende Wirtschaftselite heranzuzüchten.

Für die Armeeführung hatte diese informelle Machtteilung Vorteile, blieben die Generäle doch abgeschirmt vor öffentlicher Rechenschaftspflicht. Doch mit Ausbruch der Revolution war der Status Quo des Regimes in Gefahr und musste sich dem Druck der Straße beugen – zumindest vorerst. Entsprechen war die Auflösung der letzten von der NDP dominierten Volksvertretung im Februar 2011 sowie das Verbot der Partei im April eine einschneidende Zäsur für das sich neu formierende Regime, brach damit die demokratische Fassade im Land doch vollständig zusammen. Nachdem sich anschließend die Wut der Straße explizit gegen die Armee richtete, war den Generälen schnell klar, dass sie sich dringend in die zweite Reihe zurückziehen müssen. Heute hat sich das Land nach den Turbulenzen rund um den Sturz der Muslimbruderschaft innenpolitisch stabilisiert. Umso dringlicher braucht das Regime eine neue restaurierte demokratische Fassade. Das neue Parlament wird genau diese Funktion erfüllen, drängen sich doch auf den aussichtsreichsten Wahllisten für den Urnengang zahlreiche Mubarak und dem Militär nahe stehende Kader, die auf legislativer Ebene deren Interessen vertreten werden. Schon vor der Wahl ist damit klar; Ägyptens neues Parlament ist eine Farce.

© Sofian Philip Naceur 2015

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