Präsidentschaftswahlen in Tunesien

Tunesien wählt ein neues Staatsoberhaupt. Zum ersten Mal in der Geschichte des unabhängigen Tunesiens sind am Sonntag rund fünf Millionen Wahlberechtigte aufgerufen einen neuen Präsidenten zu bestimmen. Favoriten sind Béji Caïd Al-Sebsi, Vorsitzender der 2011 gegründeten Partei Nidaa Tounes (Ruf Tunesiens), und der amtierende Übergangspräsident Moncef Marzouki vom sozialdemokratisch-zentristischen Kongress für die Republik (CPR). 27 Kandidaten stehen auf den Wahllisten, doch nur 22 von ihnen treten letztendlich auch an, da bereits fünf Bewerber ihre Kandidaturen für die Präsidentschaftswahlen zurückgezogen hatten (erschienen in Junge Welt am 21.11.2014).

Wer von dem Rückzug profitierten wird, bleibt offen. Während der Kandidat der Destour-Partei Abderrahim Zouari ankündigte Al-Sebsi zu unterstützen, gaben die anderen keine klare Wahlempfehlung aus. Die Partei des 87 jährigen Al-Sebsi hatte erst im Oktober bei der Parlamentswahl aus dem Stand die meisten Stimmen erreicht und stellt mit 85 Abgeordneten die größte Fraktion in der neuen Abgeordnetenkammer. Marzoukis CPR hingegen stürzte nach den guten Ergebnissen bei den Legislativwahlen 2011 von 29 auf nur noch vier Mandate ab. Seine Partei koalierte nach den Wahlen mit der islamistischen Ennahda-Partei und vergraulte damit ihre Wählerschaft. Dennoch kann Marzouki als Präsidentschaftskandidat auf ein besseres Resultat hoffen, schließlich gilt Al-Sebsi als Vertreter des 2011 gestürzten Regimes von Ben Ali. Zahlreiche Parteien beschworen im Wahlkampf das Bild eines zurückkehrenden alten Regimes und Marzouki dürfte der einzige Bewerber auf den Posten des Staatspräsidenten sein, der Al-Sebsi Paroli bieten kann.

Nidaa Tounes, ein Sammelbecken für anti-islamistische Strömungen und Vertreter des alten Regimes, setzte vor allem auf ihre Opposition zu Ennahda, die seit ihrem Wahlsieg 2011 das politischen Geschehen im Land maßgeblich mitgestaltet hatte, und präsentierte sich im Präsidentschaftswahlkampf als einzige Kraft, die dem stärker werdenden islamistischen Extremismus im Land wirkungsvoll entgegen treten könne. Ennahda wurde wiederholt vorgeworfen für den Einflussgewinn extremistischer Kräfte mitverantwortlich zu sein und verlor daher bei der Parlamentswahl stark an Zustimmung. Die Partei hat sich verkalkuliert, setzte sie doch auf einen Erfolg bei der Wahl zum neuen Parlament und stellte im Kampf um das Präsidentenamt keinen eigenen Kandidaten auf. Auch hoffte sie bei einer Wahlempfehlung für Al-Sebsi von Nidaa Tounes als Juniorpartner in eine Regierungskoalition aufgenommen zu werden, doch erklärte Ennahda diese Woche keine Wahlempfehlung aussprechen zu wollen. Eine Koalition beider Parteien rückt damit in weite Ferne.

Neben Al-Sebsi und Marzouki tritt auch Mustapha Ben Jafaar von der sozialdemokratischen Ettakatol an, die ebenso wie die CPR bei den Parlamentswahlen für ihre Koalition mit Ennahda abgestraft worden war. Ben Jafaar hatte während des Wahlkampfes das sozialdemokratische Lager aufgerufen einen gemeinsamen Kandidaten gegen Al-Sebsi aufzustellen, um dessen Wahlsieg zu verhindern. Ben Jafaar hatte angekündigt sich aus dem Rennen zurückzuziehen, sollte sich die Sozialdemokratie auf einen Konsenskandidaten einigen. Gewinnt Al-Sebsi die Wahl, würde Nidaa Tounes das Präsidentenamt kontrollieren und Parlament und Regierung dominieren. Die alten Ben Ali nahe stehenden Seilschaften wären damit wieder an der Macht.

Aussichtsreichster Kandidat des linken Lagers ist Hamma Hammami, Sprecher der Volksfront, einer Koalition aus neun linken Parteien, die aus den Parlamentswahlen mit 15 Sitzen überraschend als viertstärkste Kraft hervorgegangen war. Die Front setzte im Wahlkampf vor allem auf Steuerpolitik und forderte neben einer Steuerreform die Bekämpfung der Steuerflucht, die Einführung einer Arbeitslosenunterstützung und die Reform des Sicherheitsapparates. Hammamis Chancen die Stichwahl zu erreichen sind gering. Sollte kein Kandidat im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit erreichen, findet am 28. Dezember eine Stichwahl statt.

© Sofian Philip Naceur 2014

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