Entfesselte Staatsgewalt – Mohamed Mahmoud 2011

Mohamed Mahmoud ist ein Symbol in Ägypten, ein Symbol für die postrevolutionäre Unterdrückung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch Ägyptens Sicherheitsapparat und ein Symbol für die Restauration des alten Regimes. Die Revolution und der Sturz von Ex-Präsident Hosni Mubarak ließen das Land 2011 nur kurzzeitig aufblühen. Die Menschen jedoch gingen weiterhin für soziale Gerechtigkeit und politische Freiheiten auf die Straße, begehrten gegen die immer noch an der Macht ausharrenden Generäle auf und forderten auch ihren Rücktritt. Doch schnell erhob das nur partiell gestürzte Regime mit altbekannter Brutalität sein Haupt und ließ seine Truppen von der Leine (erschienen in Junge Welt am 19.11.2014).

Am 19. November 2011 attackierten Sicherheitskräfte eine militärkritische Demonstration in Kairo. In der Mohamed-Mahmoud-Straße, einer Zufahrtsstraße des Tahrir-Platzes, gingen Polizei und Scharfschützen mit Tränengas, Gummigeschossen und scharfer Munition gegen die Demonstranten vor und lieferte sich mit der aufbegehrenden Jugend des Landes tagelange gewaltsame Ausschreitungen. Die Bilanz der fast einwöchigen Unruhen: fast 50 tote Demonstranten, Hunderte Verletzte und die Gewissheit: die alten Seilschaften aus Militär- und Staatsapparat und Kadern des alten Regimes aus dem Dunstkreis der Mubarak-Partei NDP (Nationaldemokratische Partei) waren nicht besiegt.

Heute ist der dritte Jahrestag des Massakers – und es ist der 60. Geburtstag von Abdel Fattah Al-Sisi, heute Staatspräsident und damals Chef des Militärgeheimdienstes. Wie kein Anderer steht er für die wieder entfesselte vom Militärapparat gekaperte Staatsgewalt. Doch heute verblasst das Andenken an die Proteste von 2011 und die Stimmen, die zurecht darauf hinwiesen, dass das Militär keineswegs das Zepter aus der Hand gegeben hatte. Heute hat das Regime die Geschichtsschreibung monopolisiert und duldet seit dem Sturz Mohamed Mursis im Juli 2013 kein regimekritisches Narrativ. Fast vier Jahre nach der Revolution stehen die Uhren wieder auf Null. Vom politischen Aufbruch ist nichts mehr zu spüren. Das Regime hat Rückenwind und regiert unangefochten und autokratischer denn je. Ägypten ist Zeuge einer maßlos entfesselten Staatsgewalt. Al-Sisis absolutistisches Regime erlaubt weder Opposition noch Regimekritik. Öffentlichkeit und Presse werden mit Gewalt auf Linie getrimmt, zehntausende Oppositionelle sitzen in überfüllten Gefängnissen und die Zivilgesellschaft hat ein Messer an der Kehle. Die Generäle regieren nach Gutdünken und glorifizieren sich selbst.

Derweil bastelt Al-Sisi an seinem Denkmal. Krampfhaft rückt er sich in die Nähe des alten Staatspräsidenten Gamal Abdel Nassers, der in den 1950er Jahren Ägypten eine kurze Blütezeit bescherte. Nasser verstaatliche den Suez-Kanal und setzte Sozialreformen durch. Doch Nasser stand auch für die allumfassende Macht des Militärs, die Gleichschaltung der Presse und die ungezügelte Unterdrückung der Opposition. Von Nassers nationalistisch-autokratischem Staatsverständnis sozialistischer Prägung kopierte Al-Sisi lediglich einen autokratischen Nationalismus und färbte ihn neoliberal und religiös. Mit Nassers Sozialpolitik hat Al-Sisis Agenda nichts zu tun. Mit dem öffentlichkeitswirksam inszenierten Beginn der Ausbauarbeiten des Suez-Kanals errichtet sich Al-Sisi derzeit sein eigenes Monument.

Der Westen steht derweil Spalier. Mit der Armee an der Macht konnte man ebenso gut leben wie mit Mursi. Und auch mit dem neuen Staatschef läuft der Motor langsam warm, entstammt er doch jener Institution, mit der Washington und Brüssel seit Langem beste Beziehungen pflegen. Die USA liefern wieder Waffen und die deutsche Bundesregierung verhandelt mit Kairo über ein Polizeiabkommen. Erst vor einer Woche empfing Al-Sisi die größte US-Wirtschaftsdelegation, die das Land je gesehen hat. Die Konterrevolution war erfolgreich, der alte Militärstaat am Nil ist restauriert und der Westen richtet sich mit den neuen alten Herrschern im Land ein. Doch es ist nur eine Frage der Zeit bis sich Ägyptens Bevölkerung wieder gegen die uniformierten Eliten erhebt, schließlich leidet Ägypten mehr denn je an sozialer Ungleichheit und politischer Repression. Al-Sisis Wirtschafts- und Sozialpolitik wird diese Probleme über kurz oder lang verschärfen. Entscheidend ist jedoch, ob die revolutionäre nach Freiheit dürstende Jugend aus den Fehlern der jüngsten Revolution lernen wird.

© Sofian Philip Naceur 2014

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